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Zur
CD:
Artur Becker:
»Les Rabiates« und ich
Dichter haben vor Musik Angst, weil der Gesang und die Melodie einer Kithara viel schneller als das geschriebene Wort die pochenden Herzkammern erreichen können, und im Prinzip ist das Universum nichts weiter als ein Ausdruck der Musik und Mathematik, auch wenn die Bibel lehrt, am Anfang sei das Wort gewesen. Edward Stachura sagt aber, dass alles Poesie sei und jeder Mensch ein Poet(a). Als Dichter mag er natürlich in diesem Fall völlig richtig liegen, mit seiner etwas pathetisch klingenden Behauptung − es sei denn, er meinte, jeder Mensch und alles was existiert, wäre göttlich, unsterblich. Was passiert aber, wenn ein Poet(a) beziehungsweise ein Schriftsteller und vier Musiker aufeinander treffen? Es fällt mir nicht leicht, dieses zu erklären, da ich eben dieser besagte Poet(a) bin. Warum soll ich denn über unsere Musik, die ich durch meine Gedichte und Rezitation zu bereichern versuche, im Sinne eines Kritikers oder Feinschmeckers schreiben? Ich bin doch kein verrückter Graphomane, der sein eigenes Produkt mit Wonne rezensiert, dazu noch für ein imaginäres Publikum.
Nichtsdestotrotz lässt sich Folgendes klar sagen: Niemand von den Beteiligten steht sich bei dem musikalisch-literarischen Projekt »Les Rabiates & Artur Becker« im Wege − die Jungs spielen ihre Musik, und ich rezitiere meine Zeilen und Strophen, sodass die Musikstücke anschließend wie ganz normale Songs klingen, zumindest auf den ersten Blick beziehungsweise beim ersten Hinhören. Die vier Musiker von »Les Rabiates« machen eigentlich bloß das, was sie schon immer gemacht haben, und zwar in diversen Bands und auf diversen Konzerten: Sie schicken der Welt eine Nachricht; sie schämen sich nicht für ihre überschwänglichen Gefühle bei einem Live-Auftritt, scheuen sich nicht, in ihrem musikalischen Ausdruck mal eins kritisches Urteil über den Menschen und sein Tun oder über sich selbst zu fällen, mag es auch hart oder gar absurd ausfallen. Mit anderen Worten: Sie antworten auf die Liebe, den Hass und die Gleichgültigkeit der Welt. Es ist eine sehr persönliche Antwort auf die heutigen Zeiten, gesellschaftlichen Bedingungen und Verwicklungen. Gleichzeitig ist es eine Antwort auf das nicht aufhören wollende Summen unseres unendlichen Universums, das wir manchmal verdammen und manchmal als ein göttliches, unsterbliches und in uns Menschen installiertes Leben loben. Ihre Musik muss man aber in erster Linie als eine Antwort auf meine Gedichte und Texte verstehen.
Die musikalische Reaktion des Komponisten und Saxophonisten Achim Gätjen und des Schlagzeugers und Produzenten Jens Ahlers auf meine Lyrik hat mich bei unserem ersten Zusammenn-kommen im Studio und auf der Bühne überwältigt – ich war nicht darauf gefasst, dass sich mein literarischer Garten durch Klänge, Soli, Melodien, Kakofonien, Noten, Geräuschkaskaden und Lieder fortpflanzen kann, um etwas völlig Neues zu schaffen; und das ist auch das wichtigste Stichwort, was diese »sozialistische« Zusammenarbeit namens »Les Rabiates & Artur Becker« angeht: Die Verbindung von Text und Musik scheint mir in diesem Fall bestens zu funktionieren, weil sie eben den Eindruck des Neuen, Unverfälschten vermittelt und nicht bloß des um Authentizität Bemühten. Im Bereich der Lyrikvertonung wird nämlich meistens nur das eine Genre verstärkt in den Vordergrund gestellt: Die Texte leuchten, und die Musik verkommt lediglich zu einem esoterischen Hintergrund- gedudel. Bei »Les Rabiates« dagegen sind beide Gattungen und Musen gleichberechtigt – so entsteht etwas Neues, und das Publikum wird endlich nicht mehr dazu verdonnert, intensiv den Gedichten zuzuhören, auf einem einschläfernden Klangteppich aus dem Supermarkt zu schweben; der Zuhörer kann sich bei diesem Bandprojekt auch von den Kompositionen, Melodien und Tönen treiben lassen, er muss nicht seine ganze Konzentration auf die Texte richten. Der elektrische Pianist Michael Berger beweist Mut bei diesem neuen Wagnis und Versuch auf dem Feld der Lyrikvertonung − durch ihn wirken die Songs an manchen Stellen surrealistisch, obwohl er dem Blues, dem Swing und seinem großen Liebling Johann Sebastian Bach, der Bergers Improvisationslust befruchtet, treu bleibt. Der multilinguale Ralf Benesch wacht bei dieser Musik- und Lyrikvermählung aus dem Schönheitsschlaf eines virtuosen Gitarristen und Bossa-Nova-Narren auf und gibt in den Kurven Gas, auch auf seinem Baritonsaxophon. Und ich finde sogar ein wenig Zeit, um meine Rezitation der Texte zu vergessen und den unverwüstlichen Altsaxophonsoli von Gätjen zu lauschen, der mich in seiner Klang- und Spielästhetik an die Filme der Nouvelle Vague erinnert. Ahlers kocht dieses mondäne Gericht in seinem Schlagzeug, schmeckt es immer wieder ab und findet jedesmal zu seinem Ursprung zurück – zu altbewährten Rhythmen des Jazz und Rock. Das Ganze kommt dann noch einmal in den Fleischwolf und später zurück auf die Erde: als eine geläuterte Seele, die zwischen den Beeten dieses neuen Gartens spazieren geht, um sich an der Schönheit und Leichtigkeit unseres Daseins zu erfreuen. Die Seele leidet und lacht. Und ich wundere mich, dass auch ich mich ein bisschen wie ein Sänger fühlen darf, obwohl ich eigentlich nur Bücher schreibe.
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