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Stuttgarter Zeitung, 27.11.2009
Dieses Leben ist doch das beste
Chamisso-Preisträger Artur Becker präsentierte sich in Stuttgart
Von Thomas Morawitzky
Was für ein Wirbelsturm aus Worten und Noten! Artur Becker, deutsch-polnischer Schriftsteller, ist der jüngste Träger des Adelbert-von-Chamisso-Preises für Autoren, die in Deutsch schreiben, obwohl dies nicht ihre Muttersprache ist, vergeben von der Robert-Bosch-Stiftung. Becker wurde 1968 in Polen geboren und lebt heute im niedersächsischen Verden, seine Stuttgarter Lesung wurde vom Literaturhaus in Zusammenarbeit mit dem Jazzclub Bix veranstaltet – und das mit gutem Grund: Im Bix, inmitten des Rhythmus, umtobt von der gellenden Stimme des Saxofons, den klaren, harten Noten der Gitarre und den utopisch-dissonanten Botschaften des Keyboards, fühlt sich Becker sichtlich am wohlsten. Er eröffnet den Abend mit einer Lesung aus seinem Roman »Wodka und Messer» – und erweist sich als Bühnentier. In schwarzem Anzug, mit schwarzem Schlips und weißem Hemd, sieht er aus wie ein polnischer Blues Brother, eine breite, gedrungene Figur mit einem ebenso breiten Grinsen im Gesicht.
»Anfang 30» heißt eines der Gedichte, die er später liest – »als ich Anfang 30 war«, sagt Becker, »wollte ich mich umbringen. Aber dann begann das Leben«. Als Rezitator seiner Prosa, die feinfühlig und derb von einer Rückkehr in das Kindheitsparadies Masuren erzählt, sitzt er am Tisch, und nur die Zuschauer in der ersten Reihe sehen, wie seine Beine im Rhythmus der Sprache tanzen, zucken und stampfen. Das ganze Temperament wird deutlich, wenn er steht, die Musiker von les Rabiates an seiner Seite, wenn er einen vollen Schluck Rotwein nimmt, die Arme beschwörend ausbreitet oder um das Mikrofon faltet, wie bei einem Gebet, in dem sich der Katholizismus seiner Heimat mit den säkularen Freuden des Westens vereinigt. Artur Becker erzählt von Coney Island, von Baudelaire, von Rudolf, der sich die Haare kämmt, von Entwurzelung und Sehnsucht, vom Taumel der Sprache: ein Beatnik aus Europas Osten.
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