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Die Milchstraße

Weser Kurier vom 16. November 2003

Etwas Besseres als den Tod finden die Polen überall

Artur Becker erzählt in "Kino Muza" von einem Umzug in die Wunschheimat der Bremer Stadtmusikanten

Von Inge Zenker-Baltes

Artur Beckers rangiert im weiteren Sinne als Bremer Autor. Seit 1985 lebt der gebürtige Pole in der Nähe der Hansestadt, jedes seiner bisher sechs Bücher schrieb er auf Deutsch. Jetzt erscheint mit "Kino Muza" die Geschichte des deutsch-polnischen Karten-abreißers, Gelegenheitsarbeiters und Weiberhelden Antek Haack. Der lebt eigentlich in Bartoszyce, einem kleinen Ort in Masuren, wo auch der Autor geboren wurde. Seit 1983 nimmt Antek ein-mal im Jahr unbezahlten Urlaub und reist nach Bremen, wo er bei seiner Geliebten Lucie wohnt und als Anstreicher arbeitet. Von dem Geld, das er verdient, will er seinen großen Traum verwirk-lichen und daheim in Polen das Kino Muza kaufen. Anteks Aben-teuer werden in einem großen Rückblick erzählt. Der setzt ein im Frühsommer 1988, als der etwa Dreißigjährige am Steuer seines mühsam ersparten Benz kurz vor Bartoszyce einschläft und total ausgeraubt wird. In seiner Wohnung über dem Kino erwarten ihn schon die besorgten Freunde. Auch die Kinochefin Teresa wartet auf ihn, während Beata, seine dritte Geliebte, dem vielseitigen Mann auf ihrer Insel im nahegelegenen Blankisee entgegen fiebert.
Der Autor beschreibt das anstrengende Liebesleben und die Ge-fühlsschwankungen seines chaotischen Helden humorvoll mitlei-dend, zeichnet ihn als bunte, wider den Stachel löckende Persön-lichkeit. Freunde, Eltern und Verwandte sind mit guten Rat-schlägen und der allgegenwärtigen Wodkaflasche stets in seiner Nähe. Doch Antek glaubt sich bedroht, verlässt seine Heimat Hals über Kopf und zieht endgültig nach Bremen.
Artur Beckers Geschichte ist über weite Strecken dicht und dringlich erzählt - mit viel Nostalgie und Traurigkeit und einem besonderen, urigen Schuss Humors. Seine zwischen Rastlosigkeit und Trägheit schwankenden Figuren sind liebenswert in ihrer Schwäche, die grobkörnigen Dialoge der polnischen Freunde wirken bei aller Unbeholfenheit echt. Und manche der Liebesszenen verraten eine ungewöhnliche, schwermütige Poesie. Mit seinen hintergründigen Schilderungen der Atmosphäre am verträumten Blankisee und im idylisch-heruntergekommenen Städtchen, wo im Untergrund eine nicht gerade zimperliche Miliz aktiv ist, erreicht Becker beachtliche Tiefe und hebt sich aus jedem Mittelmaß heraus.
Weniger gelungen sind die klischeeüberladenen Passagen in Deutschland und mit Deutschen. Trotz präziser Details von Bremen und seinem Umland laufen die szenischen Schilderungen nicht rund, die Dialoge sind seltsam flach, gewollt originell und insgesamt nicht stimmig, das Ganze bleibt an der Oberfläche.
Artur Becker spürt wohl selbst seine Schwierigkeiten, zwischen zwei Welten zu leben - und er arbeitet daran. In einem Interview bekannte er einmal, Deutschland sei für ihn als Schriftsteller noch "zu unpoetisch und unerotisch", er müsse "warten, bis die Sehnsucht kommt". Ein schönes Bild und eine hoffnungsvoll stimmende Erklärung.

© Inge Zenker Baltes

 

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