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taz
Magazin Nr. 7215 vom 22.11.2003
Ganz
aus der Puste
Artur
Becker beendet mit dem Roman "Kino Muza" seine polnische
Vergangenheitstrilogie
Von
Gustav Mechlenburg
Wozu
sind Kartenabreißer gut, wenn der Eintritt ohnehin kostenlos
ist und der Besucherandrang nur gering? Aber Logik ist wohl nicht
die vorrangige Frage im sozialistischen Polen der Achtzigerjahre.
Da ist das Kino staatlich und die Bürokratie so groß
geschrieben wie die Nischen, die sie lässt. Kein Wunder, dass
sich der Lebenskünstler und Cineast Antek Haack pudelwohl fühlt
in seinem Job und seiner Heimatstadt Bartoszyce. Er fährt einen
Citroën DS, wie er schon in der Serie "Fantomas"
zu sehen war und den er selbstverständlich nie abschließt.
Eine Gewohnheit, die er sich von Hollywoodgangstern abgeschaut hat.
Dass Antek eigentlich nur auf der Leinwand lebt, in fremden Geschichten,
kann so manche Frau in seinem Leben allerdings sehr auf die Palme
bringen.
Ansonsten treten in Artur Beckers Roman "Kino Muza" die
üblichen Verdächtigen auf. Verlierer wie der minderbemittelte
Zocha, der die Leiche seiner Frau ausgräbt, was verheimlicht
werden muss, da es solche Monster nur im Westen geben kann. Paten
wie der "geborene Panzerfahrer" Zygmunt, der die Fäden
von Filz und Korruption in Händen hält. Sowie Improvisationskünstler
wie der Blumenhändler Robert, der so tut, als leite er ein
weltweit operierendes Firmenimperium.
So archaisch das Gesellschaftsleben der Kleinstadt auch wirkt mit
Saufgelagen, Sex und Korruption: Durch das Kino hält nicht
nur die Moderne im Stile Hollywoods Einzug, nein, hier versucht
man sogar mit Kieslowskis "Ein kurzer Film über das Töten"
den Staatssekretär für sich einzunehmen. Zusammen mit
seinem Freund Robert hat Antek den Plan, das Kino zu kaufen, in
dem er seit Jahren die Karten abreißt. Von der Regierung wird
das allerdings nicht gern gesehen. Schon gar nicht, wenn die Privatisierung
als Akt der Subversion angedacht ist. Dass die Genehmigung dazu
letztlich doch noch erteilt wird, ist einem gefährlichen Deal
zu verdanken, auf den sich die beiden einlassen.
Sehr einfallsreich scheint Becker, der selbst 1985 aus Polen nach
Deutschland übersiedelte, nicht zu sein. Wer seinen vor wenigen
Monaten erschienenen Erzählband "Milchstraße"
gelesen hat, kennt bereits das gesamte Universum an Motiven und
Personen. Als Kurzversion war darin noch einmal die Story seines
zweiten Romans abgedruckt, und auch die Handlung von "Kino
Muza" konnte man in Ansätzen bereits aus der Erzählung
"Die zwölfte Insel" erfahren. Die Kurzgeschichten
strotzen nur so von Ostalgie: Alkohol, Lug und Trug, Sex, Natur
und Mystik verbinden sich bei Becker zu menschelnder Poesie. Doch
selbst wenn man Beckers Hang zu Nostalgie und Wiederholung skeptisch
gegenübersteht, "Kino Muza", der nach "Dadajsee"
und "Onkel Jimmy, die Indianer und ich" Beckers polnische
Vergangenheitstrilogie beenden soll, ist ein wunderbares Buch. Die
Charaktere emanzipieren sich über die Zeit von ihren Klischeebildern,
und auch die Handlung ist stimmig, rasant erzählt und regelrecht
spannend - nicht so sehr wegen des missglückten Versuchs, alles
in einen Krimiplot einzuarbeiten, sondern vor allem durch den beschriebenen
Beziehungsstress, der den Protagonisten gleich zwischen drei Frauen
in Atem hält.
Sprachlich sind das nur leider die schwächsten Stellen im Roman.
Kaum vorstellbar, dass man mit einer jahrelangen Sexbeziehung so
gestelzt redet: "Das ist sehr nett, aber ich kann meine Insel
nicht verlassen. Besonders im Winter, wenn Diebe, Hungerleider und
Wilderer durchs Land ziehen." Oder: "Ich komme wieder.
So einfach wirst du mich nicht los. Ich bin ein Langstreckenläufer."
Becker hat einmal behauptet, in Erzählungen könne er poetischer
sein als in Romanen. Mit "Kino Muza" zeigt er das Gegenteil.
Denn der in seinen Kurzgeschichten eher derb-komische, Effekt haschende
Stil ist hier weise zurückgenommen. Selbst in den Schlusskapiteln,
die nach Anteks Flucht vor der Staatssicherheit in Deutschland spielen
- dem Land, in dem Becker seit Jahrzehnten zu Hause ist, es aber
als Schreibstoff immer für zu "unpoetisch und unerotisch"
hielt - versteht er es, mit sprachlicher Dichte den Menschen hautnah
auf den Leib zu rücken. Beispielsweise in der wunderbaren Beschreibung
des tragisch-absurden Nachtwächters, der im selben Behindertenheim
arbeitet wie Antek und seit zehn Jahren eine Theorie zum "wahren
Gesetz der Reinkarnation" zu entwickeln versucht. Vielleicht
gelingt Becker die Darstellung von menschlichen Obsessionen nur,
weil er auch hier in vom Kapitalismus befreite Zonen ausweicht.
Mal sehen, ob Becker seinen nächsten Roman ganz in Deutschland
verortet oder ob er gar sein Genre wechselt. Vom Schelmenroman zum
Poproman, mit dem er bisher nicht in Verbindung gebracht werden
möchte. Das ironische Kratzen an der Oberfläche versteht
er jedenfalls sehr gut.
©
Gustav Mechlenburg
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