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Tagesspiegel
vom 20.-26.11.03
Die
Leute von Bartoszyce
Artur
Beckers opulenter Roman Kino Muza
Von
Norbert Tefelski
Laut
Verlagswerbung ist der neue Roman von Artur Becker "mal komisch,
mal traurig, mal märchenhaft, mal realistisch (...), mal zart,
mal rau." Stimmt, mit anderen Worten: Er will zu viel und bremst
sich deswegen streckenweise selbst aus. Dass "Kino Muza"
(Hoffmann und Campe) dennoch lesenswert ist, liegt an der liebevollen
Ausformung der Figuren - allen voran Bewohner von Beckers masurischem
Geburtsort Bartoszyce, dem er hiermit ein Denkmal setzt. Im Jahre
1988 genießt sein Protagonist Antek den Luxus, für ein
paar Monate nach Bremen reisen zu können, der Arbeit und der
Liebe wegen. Doch das kommunistische Regime fliehen - wozu? "Der
ganze Laden bricht doch zusammen." Mindestens zwei gute Gründe
halten ihn in der Heimat: Beata, deren Mann bei einem merkwürdigen
Unfall starb, sowie das Kino Muza, wo Antek als Kartenabreißer
unter der erotischen Fuchtel einer Besitz ergreifenden Chefin arbeitet.
Bald, so plant es der begeisterte Cineast, will er das Filmtheater
zusammen mit einem Freund übernehmen.
Neben den trockenhumorigen, manchmal grotesken Beschreibungen des
Freundes- und Familienkreises können vor allem die alltags-
und popkulturellen Querverweise entzücken. So erfahren wir
nicht nur, wie Vater mit seinem Holzbein spricht, sondern auch,
dass "Alien" in Polen den Untertitel "Der achte Fahrgast
der Nostromo" trug. Die Rolle des Bösewichts im Roman
fällt einem Agenten der Staatssicherheit zu, vor dem Antek
letztendlich doch in den Westen fliehen muss. Dies zeitigt wunderbar
tragikomische Passagen, in denen auch die deutsche Bürokratie
ihr Fett wegkriegt. Becker weiß Bescheid, er lebt hier seit
1985.
©
Norbert Tefelski
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