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Hamburger
Morgenpost vom 2. Oktober 2003
Vom
Lieben und Flüchten
Von
Ira Panic
"Deutschland
war wie Sodbrennen. Nachts wachte man auf und saß senkrecht
im Bett, mit erhobenem Haupt, wie am Schreib-tisch, um der Hitze
in der Speiseröhre zu entwischen. Nein, viel-leicht nicht mit
erhobenem Haupt, es gab in diesem Land viele Fragen zu beantworten
..." Politik und Liebe und Verbrechen und Heimat und Sehnsucht,
wirkungsvoll gemixt, klug und beinah sin-nenfroh zur Sprache gebracht.
Von einem, der von heute erzäh-len kann wie ein Alter von früher.
Artur Becker, der aus Masuren kommt, was nach Lenz und Mär-chenton
klingt, hat mit "Kino Muza" eine abenteuerliche Flucht-
und Lust-Geschichte vorgelegt. Die wenig mit Lenz und Märchen-tönen,
dafür viel mit jüngerer Vergangenheit, west-östlichen
Empfindsamkeiten, Männern und Frauen zu tun hat. Becker ist
ein unmodischer Schreiber, aber auch ein sehr gegenwärtiger
Autor. Weniger fantastisch diesmal als in "Onkel Jimmy, die
Indianer und ich", näher am Thriller als am Schelmenroman,
nähert er sich spielfreudig den Konflikten freigeistiger Individuen
kurz vor der Wende. Antek lebt abwechselnd in Bartoszyce, als Karten-abreißer
im Kino Muza und Geliebter der jungen Beata, und in Bremen, als
Zimmermaler und Lucies Lover. Dann gibt es da noch Teresa, vor allem
aber das Kino, mit dem Antek und sein Kumpel Robert sich selbständig
machen wollen. Solange alles ein Traum bleibt, bleibt auch alles
gut. Als Beatas Mann unter mysteriösen Umständen im See
ertrinkt und die Staatssicherheit den Jungs zum Schein das Kino
verpachtet, wird alles schrecklich. Gejagt vom Agenten Brzezinski,
flieht Antek, diesmal endgültig, in den Westen. Seine Probleme
- und ein paar Frauen - folgen ihm. Und vor sich selbst, merkt Antek
bald, kann er sowieso nicht weglaufen ...
Becker lässt das Kino leben in dieser melodischen Prosa übers
Lieben und Flüchten und die 80er Jahre, zitiert tausenderlei
Bilder, Szenen, Klischees und macht sie sich zu eigen. Ein Buch,
das zum Drin-Versinken einlädt.
©
Ira Panic
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