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Wie verkauft man die Bibel?

Königslose Zeit

Von Artur Becker

Die neueste politische Krise Polens erlebte ich live auf der Dadajinsel in Warmia, wo ich den Sommerurlaub mit meiner Familie verbrachte. Jeden Tag hatte ich ein bisschen Zeit für die Auswertung der polnischen Presse. So schreibt Pawel Lisicki in der Rzeczpospolita, dass in Polen de facto bestimmte einflussreiche Gruppierungen mehr Druck und Macht ausüben als das Zentrale Antikorruptionsbüro CBA und das Warschauer Justizministerium mit dem Justizminister Zbigniew Ziobro und PiS-Politiker an der Spitze. Ich kann die These von Lisicki kaum unterstützen.

Die regierende rechtskonservative PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit) hat sich in den letzten Wochen von ihren Koalitionspartnern mit großem Krach getrennt und somit auch eine solide Grundlage für Neuwahlen geschaffen. Dabei spielte CBA die entscheidende Rolle: Es brachte Andrzej Lepper, den Leader der Bauernpartei Samoobrona (Selbstverteidigung) und den durch den Präsidenten Lech Kaczynski entlassenen Landwirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten, zu Fall.

Die Korruptionsvorwürfe, die von CBA gegen Lepper gerichtlich erhoben wurden, sind mehr oder weniger lachhaft, denn der Justizminister Ziobro konnte bis jetzt keine ausreichenden Beweise vorlegen. Die politische Rhetorik, die Ziobro bei seinen Attacken gegen Lepper benutzt, ist äußerst aggressiv. "Soll man Ziobros Diktaphon Glauben schenken?", fragt sich jedoch der Wähler.

Bei dem Korruptionsskandal weiß eigentlich niemand, wer Recht hat und wer lügt. Tatsache ist, dass CBA Andrzej Lepper eine Falle gestellt hat - und jene hat nicht richtig funktioniert, weil Lepper angeblich gewarnt wurde, vielleicht von Ziobro oder sogar von Janusz Kaczmarek, dem ehemaligen Innenminister, der im Zuge des Korruptionsskandals seinen Posten verloren hat. Für die Umwandlung von Ackerland in Bauland sollte Lepper Schmiergeld in Millionenhöhe kassieren und wurde Opfer der Potemkinschen Dörfer - ausgerechnet der Mann, von dem sich die Polen erzählen, er sei ein Agent der Russen; denn Lepper hat seine Sympathien für Russland nie bestritten.

Klassische Säuberungsaktion
Man muss sich also fragen, warum PiS seinen wichtigsten Koalitionspartner regelrecht öffentlich hinrichten ließ? Das moralisch-politische Programm der PiS ist jedem Polen bekannt: Es verspricht den Bürgern einen Staat ohne Nepotismus und Korruption.

Man wird als stiller Beobachter den Eindruck nicht los, dass die Gebrüder Kaczynski mit ihrem Helfer Ziobro eine klassische Säuberungsaktion durchgeführt haben. Der nächste Koalitionspartner, der die Regierung verlassen musste, war der populistische Politiker der LPR und Bildungsminister Roman Giertych. Inzwischen haben sich die ehemaligen Koalitionspartner zu einem politischen Block zusammengetan: Aus Samoobrona und LPR wurde LiS (Liga und Selbstverteidigung), worüber jeder lacht, denn "lis" heißt im Polnischen Fuchs.

Polen ist ein verrücktes Land. Unmögliches wird schnell möglich. Die PiS-Partei strebt mehr oder weniger eine Zusammenarbeit mit ihrem stärksten Gegner, nämlich der christlich-liberalen und westlich orientierten Partei PO (Bürgerplattform), an. Donald Tusk, der Leader der PO, hat sich vor kurzem mit Lech Kaczynski getroffen, und die beiden Herren schienen sich in vielen Punkten einig zu sein - ganz plötzlich.

Viele Menschen zweifeln nicht mehr daran, dass PO die vorgezogenen Herbstwahlen mit großer Mehrheit gewinnen wird. In einem Interview für die Wochenzeitschrift Wprost sagte der Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, dass er sich im Falle einer Niederlage seiner Partei zurückziehen wolle, um in der Einsamkeit über die Undankbarkeit der polnischen Nation nachzudenken.

Das sind große Worte, die normalerweise nur Diktatoren aussprechen. Und die polnische Bevölkerung, wie reagiert sie auf den politischen Zirkus in Warschau? Jarsolaw Kaczynski hat die Neuwahlen eben deshalb vorgeschlagen, um einen politischen Zirkus zu vermeiden. Bis November 2007 kann in Polen noch viel passieren, und ob die Wahlen tatsächlich stattfinden werden, sei erst einmal dahingestellt.

Lepper ins Gefängnis?
In den nächsten drei Monaten können wir bestimmt noch weitere Affären erleben, Andrzej Lepper kommt vielleicht ins Gefängnis, Roman Giertych kann vielleicht wieder einen Ministerposten in der PiS-Regierung ergattern, obwohl er zurzeit vor Wut auf PiS schäumt, und die restlichen Parteien, die Exkommunisten zum Beispiel, werden sich als fleißige Oppositionelle den Mund fusselig reden. Der Chef des katholischen Senders Radio Maryja Tadeusz Rydzyk wird bestimmt mit seinen antisemitischen Äußerungen wieder für große Aufregung sorgen. Während der Zeit des Wartens auf die Neuwahlen werden auf polnischen Straßen erneut viele Autofahrer ihr Leben verlieren, nicht nur weil die Regierung mit sich selbst beschäftigt ist und keine Zeit hat, um neue Straßen bauen zu lassen, sondern auch, weil viele polnische Autofahrer echte Kamikazes sind, wie ihre Politiker. Man merkt den polnischen Wählern die Anspannung an. Die Menschen sind müde und wollen endlich aufatmen. Niemand mehr will auf Godot warten, der die alltäglichen Probleme endlich zu lösen verspräche.



© Frankfurter Rundschau, · 16. August 2007

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