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Erdlinge

Lyrik: Artur Becker
Fotos: Patrick Becker

ERDLINGE

Erdlinge! Kleine Scharlatane seid Ihr,
zerstreut in alle Himmelsrichtungen,
wo Städte gebaut werden.

Erdlinge, Fanatiker!
In Eurem Laboratorium arbeitet Ihr an einem Werk,
das keinen Namen verdient,
außer man nähme Euch ernst,
weil Ihr gefährlich seid, dann müsste man rufen:
Mörder und Opfer! Ihr Niederträchtigen und Gefallenen!

Ihr Stupsnasen und Ignoranten,
gezeugt während einer Götterumnachtung:
haben wir den Kopf verloren, als wir uns schlafen legten,
auf unsere Gefängnispritschen, die Ihr später geglaubt habt,
erfunden zu haben, Erdlinge?

Ihr Vertriebenen und Verstoßenen!
Alleine seid Ihr nicht, in unserem Teelöffel,
mit dem wir Euch die tägliche Medizin verabreichen:
Eure Erde wird von Ludern getragen,
und auch Euer Sonnensystem und die Milchstraße!
Ihr Hobbygärtner und Religionsstifter,
Ihr Algen- und Zebrafresser und Schwimmakrobaten!

Gleich, ob Ihr Euch verwandelt, in tausend Chamäleons,
in Nationalflaggen oder gar nicht,
erkennen wir Euch immer und überall
an dem einen südafrikanischen Geruch der Wüste
und des Dschungels und der Goldminen!   

Mit Sparbüchern oder in zerrissenen Kleidern lustwandelt Ihr
über Eure Schildkröte, als wäre diese Reise nur den Urlaub wert;
die Sonne wäre der Mond und der Mond der Stern M 53!

Ihr Feiglinge und Herrscher! Erdlinge! Ihr Toten –
Eure Hosentaschen sind voller Ängste und Termine, Notizen,
die Ihr nicht mehr entziffern könnt!

In den Gräsern schlummern Schnecken und Spinnen,
deren Namen fleißig von Euren weißen Kitteln
gesammelt werden, auf endlosen Listen,
auf endlosen Schienen der Computer und ihrer Schallplatten!

In den Wäldern leben Fliegen und Mücken,
Milliarden, die Ihr zählt und katalogisiert,
für die Ungeborenen.

Ihr falschen Nachahmer des Rausches, der Vollkommenheit,
in der wir Euch täglich erschaffen,
als unsere Kreaturen und Spielzeuge!

Was Ihr Euch antut und was Euch angetan wird,
in den verschanzten Leichengräben, sprechen wir nicht mehr aus.

Erdlinge, Ihr maßt Euch an, über etwas zu reden,
was keine Farbe, kein Gewicht und keine Breite und Länge hat – das Universum!

Zu Euch sprechen wir, im Namen Eurer verstümmelten Gesichter
und Töchter und Söhne, die Ihr eigen nennt.
In jedem Eurer Häuser erlischt das Licht
und wird aufs Neue gezündet,
mit Fossilien, Atomen, Antimaterie!

Erdlinge! Wenn Eure Erdachse einmal kippt
wie ein gebrochenes Echsenrückgrat,
wird niemand in den Engen der Sternstrahlen fragen,
wie Ihr Euch erhitzt habt – das lasst Euch von uns sagen,
die wir den Lauf Eurer Herzen kennen: hier in der Hölle,
wo Kastanien nicht fallen
und den kalten Zweigen nicht schwer sind.

 

GREENWICH VILLAGE

I

Mit ein bisschen Glück
endet man als ein Wassermolekül,
aber jedem Sterblichen wird eine Wohnung zugewiesen,
auf dass es mit ihm aufwärts geht,
in allen Kleidern,
die auf ihm lasten,
auch wenn er sie nicht beachtet.

II

Warum ich kein Massai geworden bin,
kriegerisch gezeichnet
von der Stirn bis zum Kinn,
warum mir ein anderer Mietvertrag
zur Unterschrift vorgelegt wurde –

Damit ich manchmal die Nächte klauen kann,
zusammen mit anderen Dieben,
die davon überzeugt sind,
am richtigen Ort zu sein.
In ihrer Sprache. Gegenwart.

III

Die Alchimie wurde im Jahrhundert der Existentialisten
zur Genetik, obwohl nichts trügerischer ist –
das weiß der manichäische Teufel am besten –
als die Angaben in unseren Pässen und Urkunden.
AuchGreenwich Village ist ein codierter Name,
und die Leichen sind wir,
die wir unsere eigene Sichtbarkeit ernst nehmen.
Da bleibt keine Zeit mehr für die Sonneneruptionen,
schon gar nicht für den Gedanken an den offiziellen Empfang,
später, wenn wir von unseren Pflichten befreit werden:
in unseren Augen immer unsportlich.

Und sonderbar ist es, die Gewissheit mit sich zu tragen,
dass dieses Stadtfeld jedem von uns gehört,
als gäbe es keine anderen Eltern,
Landstriche, keine majestätischen Himmel.

Wahrscheinlich ist es nur eine Illusion.
Eine Vorbereitung auf harte Zeiten,
und noch tiefer.
Jede Straße fließt hier ihrem Untergang entgegen,
und das ist nicht gut, für alle.

IV

An einen Kerker sich zu gewöhnen,
der so braun und voller Nebel ist –
zumindest auf dem Foto im Kopf –
kann nicht leicht sein.
Vielleicht sieht es aber dort so aus.

Mein Gastspiel ist anstrengend,
die Drinks im Sweet Basil vergebens,
und Dankbarkeit muss mit dem Zeigefinger
auf einer Reisekarte gesucht werden:
zu den Hesperiden wollen wir aufbrechen!
 

Am Nil

– Und du Paul, du! Ein kleiner Junge am Nil warst du einmal und schlepptest mit deinem Vater Netze und Salz in Säcken für die Fische. Der Sand knirschte in deinem Mund. Die Wüste belegte deine Zunge wie ein Pilz. Tausendfache Kraft der Sonne pulsierte in deinen braunen Augen. Die Dorfbewohner haben sie geliebt, ihr Lächeln, das Strahlen deiner Augen – welche Hoffnung, welche Freude. Und heute ist nichts davon geblieben, gerettet. Fieberhaft suche ich nach dem Lächeln, mit dem du morgens deinem Vater folgtest und in deiner Brust die Helligkeit des Tages empfingest, ohne Fragen zu stellen wie ein Fisch, ein Kind in Ägypten warst du, mein Gott, wann war das?


Die Röcke der Huren

– Wir sitzen am Tisch mit dem Rücken zur Straße. Wir hören die Passanten und die Automobile, wir hören die langen Röcke der Huren knittern, als würden ihre Beine verbrennen und das Feuer durch die blauen Höschen empor zu den Sternen steigen lassen. In ihre seichten Gewässer würden wir dann kriechen, das Eine erkennen, mit dem Einen sprechen. Paul, was soll ich dir bestellen? Einen Drink? Campari mit Soda? Oder eine Dame für den Schoß, damit ihre Beine zappeln, die zarten Strümpfe bis über die Knie hervortreten?

 

Apulien

– Und wenn du mich fragst, Paul, ich bin schon mit neunzehn Jahren durch Europa, von Neapel nach Paris, gereist, auf dem Esel bin ich die langen Pfade gereist. Außerordentlich schwer fällt es dem Reisenden, Worte mit jemandem zu wechseln! Tratatata! In Apulien bin ich nie gewesen!
– Und gestern war da noch eine Insel, die Insel der Vögel, getragen von Atlas. Sie füllte meine Prosektur mit Buchten und Stränden vollkommen. Die Strände waren mit Holzwannen in Menschengröße ausgestattet. Ich habe sie selbst auf Kosten der Universität in Paris bestellt, und niemand hat es mir übelgenommen, diese neue Lehrmethode. In jedem dieser seltsamen Zuber schwamm eine gläserne Kindesleiche, violett angelaufen. Am Hals gewürgt hatte man die Kleinen, anschließend zu mir gebracht, als Belohnung für die wissenschaftlichen Taten, als Anerkennung für die theologischen Erfolge!

 

© by Artur Becker and Patrick Becker

WASSERTÜRME

Der erste, der sie bemerkt hat, in den Himmeln,
über den Dächern, wo sich die Eisenbahnlinien kreuzen
wie in Ermland, wo ich herkomme,
wusste nicht einmal, wozu sie dienen.

Er hatte keinen Durst und war leer wie der Lärm
unten bei den Autokolonnen.

Aber die Wassertürme blieben, bis zum heutigen Tag,
an dem ich vor Langeweile sterbe, weil niemand
in meinem Apartment 7E an der 100 Bleecker Street wohnt,
außer den Feuerwehrleuten, die den orangefarbenen Alarm testen.

Aber die Wassertürme sind meine,
und ich lobe sie für ihre graue Eleganz und Sattheit.
Vielleicht sind sie mit Blut gefüllt,
vielleicht spenden sie den Häusern Blut und Luft
für die kalten Klimaanlagen.

Man hat sie gebaut und vergessen,
wie vieles in dieser Stadt.

Ich möchte, dass sie tropfen, verletzt und dunkel:
Wassertürme! Ihr Sonnenschirme!
Seid gegrüßt und tapfer!
Wenn ich euch Abend für Abend anschneide,
mit meinen Fensterblicken.

 

ADMIRAL DELUXE

Admiral deluxe ist nicht gewohnt, getadelt oder geküsst
zu werden, aber du kannst in ihm deine Frau verstecken,
am besten im Bikini, damit sie endlich eiskalt wird,
zwischen all den heißen Büchsen und Plastikflaschen,
die blinzeln und kreischen wie die Hupen der Taxifahrer.

Admiral deluxe trägt Schuhe und Hosen in Übergröße,
er sieht aus wie die Henker, die die letzte Mahlzeit bringen,
die keiner essen will, und sein Atem reicht bis nach
Deutschland, wo die Enten immerzu gefüttert werden,
obwohl die niedersächsischen Jäger es verbieten.

Admiral deluxe ist mein Frühling auf dem Washington Square,
eine aufgeblasene Symphonie, eine Ejakulation für die Armen,
die krampfhaft nach 5 Cents suchen – wovon man ihnen den Tod
bezahlen will, und die Ferien in Jerusalem, ist mir ein Rätsel.
Ohne ihn geht doch niemand aus – er schläft in unserem Bauch.

Admiral deluxe macht mich aber cool und versichert mir,
dass Obdachlose keinen Himmel brauchen, schon gar nicht hier, wo man an jeder Ecke die Pyjamas waschen kann, und die hiesige Sonne ist eine warme Pflaume, saftig, dunkelblau wie jede Nacht, die, getarnt als kurzes Tagesprogramm, nicht einschlafen will.

 

CLINT EASTWOOD

I

Vor etwa dreihundert Millionen Jahren
wurde ich geboren, als Blauer Wald.
So heißt in unserer Sprache der Osten.
Ich hatte auch eine Schwester, die Spinne.
Unsere Eltern trennten uns
im Laboratorium mit Pinzetten:
sie rissen uns die Wimpern aus den Augen
und machten uns nackt.
Sie gaben uns kabbalistische Nummern, keine Namen.
Ich trug auf meinem Rücken die Sieben
wie ein Fußballer, meine Schwester die Fünf –
vom Baum des Lebens.
Und da wir die einzigen Menschen
auf unserem Stern waren,
errichtete man für uns Denkmäler und Schafotte.
Wir sollten leben und sterben. Auf der Leinwand.

II

Wenn Götter Kinder zeugen, werden sie zornig.
Sie fürchten dann um ihre Posten – mir war alles egal:
ich wollte nur ewiglich in meinem Wald als Wolke
zwischen den Pinien und Zedern das Unkraut jäten.
Was aber aus uns Retorten geworden ist,
seht Ihr selbst: Schauspieler und Insekten.

III

Heute heiße ich Clint Eastwood und bin Seelenklempner.
Ich habe schon viele Planeten aufgesucht,
im Auftrag meiner Eltern –
und man hat mich immer zu den Göttern erhoben,
auf den Olymp, und anschließend gekreuzigt.
Blödsinn alles! A
Jedem Erdling habe ich andauernd nur gesagt:
»Du bist kein Sklave!«

In Eurem Domizil hatte ich bis jetzt die größten Ärger,
in der Abgeschiedenheit des Orions,
wohin man Euch verbannt hatte.

Ich werde bald kündigen und zurückgehen in die Bläue,
wo das Wissen um die Obstgärten keine Sünde bedeutet
und weder männlich noch weiblich ist.

Mein ärgster Feind war der Regisseur Friedrich Nietzsche.
Ihm habe ich seine Hoden weggeschossen
wie einem seekranken Bullen,
obwohl er schon den Göttern das richtige Gift verabreicht hat:
dass Ihr ewig werden solltet,
durfte aber noch lange kein Grund sein,
auf alles, was sich bewegt, zu schießen –
für Nero und seine römischen Nachahmer.           

 

DIE TIRADEN DES TOM

Herkules

»– Am 14. Juli 1983: Herkules und der Schlangenträger sind nicht besonders auffällig, weit ab von den Straßenlaternen. Das Zentralfeuer ist uns bis jetzt nie ausgegangen, Philolaos. Und unsere Sonne? Aufgang um 5 Uhr und 7 Minuten. Untergang 19 42. Kulmination 12 25. Paul, an jenem Tag habe ich dir die Himmelsjahre erklärt. Kannst du dich erinnern?


Der Kopf und das Beil

– Wenn ich nur meinen Kopf ausschalten könnte, ohne das Beil zu benutzen: über mich willst du nichts erfahren, dass ich mich seit Jahren schon mit dem Branntweingeschmack ins Bett lege und meine Zunge am liebsten ausspucken würde, weil sie sich wie ein Gummistiefel anfühlt, fade und grässlich. Was würde ich bloß in der Antarktis kochen? Was essen? Meine steife Zunge? Deine ist Honig, deine ist Babylonien! Deine leckt die Sonne flussaufwärts. Ich habe mir sogar ein Siphon gekauft, ich bespritze die Zunge jeden Tag mit Kohlensäure, Aqua, 220 Volt. Ja zum Leben und Tod. Ja zur Krankheit und zum Verderben. Ja zur Gewalt und Action, Action!


Die Füße in weiblichem Firmament

– Ich sehe, wie du die Füße deines Mädchens, du der große Jazzfanatiker, wie verzaubert bewunderst. Nach solchen sonnenge-bräunten Füßen in weiblichem Firmament hast du dich schon lange gesehnt, unsterblich: heute meint dein Mädchen, du hättest keine Hände, sondern Pfannen.


Der Muschelsammler

– Ich kann dir sagen, Paul, Muschelsammler wollte ich einmal werden, einer, der jeden Morgen den Strand besucht und die Sandkörner bei Namen nennt: Hippolyt, Cäsar, Marian und Attila. Mit Muscheln wollte ich meinen Körper bei Gesundheit und Stärke halten, Muscheln wollte ich sammeln, das Baltikum und vielleicht den Golf von Guinea kennen lernen.
– Nichts ist mir in der Schule eingefallen, nichts vom großen Nutzen für die Gesellschaft, als mich die Studienrätinnen und Hausmeister ausfragten, ausausaus!
– Vorbei an den Stränden, vorbei an den Promenaden, am Strand wollte ich Tee trinken und die Sandkörner in den Muscheln zählen.


 

Die Zukunft

– Ich muss meine Zukunft auf dem Arbeitsmarkt hervorbringen, Anstrengungen unternehmen, wie du auch die Briefe an die Galater beenden musst, und an mich, Paul, aber wie konntest du mich so anlügen, mich so betäuben, vom Himmel der Sabäer so weit abbringen, von meinen Rippen, Füßen entfernen? Und ich flüstere noch: ›So werde der Irrtum widerlegt, der sagt, die ’Schwarze Boa‘ sei die Seele des Himmels oder gar des Ganzen!‹


 

Mein Mond ist verschwunden

– Paul! Und herumgeirrt bin ich heute, in der Stadt, viele Kilometer in den langen Straßen, die nicht ein bisschen Licht abgeben. Man will sich nur über Wasser halten. Mittlerweile glaube ich an alles, was mir gesagt wird. Denn ich habe mir in der Stadt zwei Teller gekauft, für eine kleine Mahlzeit in Tibet, und dann kam die absolute Finsternis, und ich dachte, mein Mond ist verschwunden!«
 

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