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Die Welt, Literarische Welt, 17.07.2009
Artur Becker singt und trink
Von D.W.
Die meisten Deutschen reisen im Urlaub in den Süden. Wer kennt schon Masuren? Artur Becker macht auf so drastische wie realistische Weise mit der Landschaft seiner Kindheit bekannt. Und nicht nur mit ihr. In drastischen Worten schreibt er von den drei polnischen Plagen: Kommunismus, Katholizismus, Alkoholismus.
Den Dadajsee hätten wir wahrscheinlich vergessen. Wie wir viel vergessen hätten. Irgendwann hätten wir vielleicht in Ferienhäuschen da gemietet, um ein Abenteuer zu erleben. So ein richtiges Abenteuer. Urlaub in Masuren.
Es kann aber keiner sagen, wir hätten nicht gewarnt sein können. Denn der Dadajsee ist längst ein Literaturort, das polnische Yoknapatawpha County, nur eben nicht ganz fiktiv.
Artur Becker hat den Dadajsee literaturfähig gemacht, eingeschrieben in deutsche Literaturlandschaft. Im masurischen Bartoszyce am Dadajsee wurde Becker geboren. Und was er erzählt von der Landschaft der Kindheit, der 1985 im Alter von 16 Jahren aus Polen ausgereisten Becker, steht quer zum kurven- und geheimnislosen realistischen deutschen Gegenwartserzählen.
Becker pflegt einen Realismus, den westsozialisierte Kollegen gern magisch nennen, der aber mit Gabriel Garcia Marquez und Jorge Luis Borges rein gar nichts zu tun hat, wenn man mal weglässt, dass beide magischen Realismen – der von Marquez und der von Becker – ohne Religion, ohne Katholizismus nicht denkbar wären.
Jakob »Kuba« Dernicki, der Held von Beckers fünftem Roman ist – nachdem er vor dem Kriegsrecht in Polen geflohen war – glücklich in Deutschland, hat Zwillinge, eine mutmaßlich schöne, deutsche Frau.
Eines Tages aber fährt Kuba zurück an den Dadajsee. Wo seine Tante lebt und sein Vater, der voll von Eifersucht und von Wodka wie eine Seestrandhaubitze, zum Mörder wurde.
Kuba landet im neukapitalistischen Polen, in seinem Örtchen, in dem sich kaum etwas verändert zu haben scheint. Kaum hat er aber mit seinem Mittelklassewagen die Dorfgrenze überrollt, ist es mit dem postkommunistischen Burgfrieden am Dadajsee vorbei.
Um alte Rechnungen geht es in »Wodka und Messer« und um neues Denken und Wirtschaften. Um Kubas große Liebe, die von der polnischen Stasi an einem Silvestertag über Eis gejagt, im See einbrach und ertrank, und um eine Hoteldirektorin, die jener großen Liebe gleicht wie ein Ei dem andern.
Um die drei polnischen Plagen Totalitarismus, Katholizismus, Alkoholismus geht’s. Es wird gesungen und gesoffen und geliebt. Ein abgründiges Sommermärchen, eine wahre Wunderkammer.
Die Träume der Menschen, die Mythen des Sees machen mobil. Masuren leuchtet in allen dunklen Farben. Leuchtet so eigenwillig, so erdig, wie es, Entschuldigung, kein Literaturinstitutler vom Bodensee hinbekommen würde.
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