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Zeit Literatur, No. 49, November 2008
Kuba liegt in Polen
Artur Beckers redselige Heimweh-und Vertriebenensuada »Wodka und Messer«
Von Christoph Keller
Exil und Heimkehr: Auf dieser Achse bewegen sich Artur Beckers Helden. Es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig, weil der 1968 in masurischen Bartoszyce geborene und seit 198 in Bremen sesshafte Autor sie ständig Varianten seines eigenen Schicksals wiederholen lässt.
Sowohl in Beckers Erstling Der Dadajsei (1997) als auch in Onkel Jimmy, die Indianer und ich (2001) sind es ernüchterte polnische Helden, die ihre deutsche beziehungsweise kanadische Wahlheimat verlassen und wieder nach: Polen zurückkehren. Im Roman Das Herz von Chopin (2006) zieht es einen Autohändler von. Polen nach Bremen.
Folgerichtig ändert sich in Beckers jüngstem Roman Wodka und Messer. Lied vom Er-trinken erneut die Laufrichtung. Der Mittvierziger Kuba folgt dem Ruf seiner Jugendfreundin. Marta ins masurische Wilimy. Die allerdings ist tot: Die Medizinstudentin, die Walesas Streik unterstützte, musste vor der Miliz fliehen und ertrinkt in der Silvesternacht des Solidarnosc-Jahres 1981.
Dass sich auch in Wodka und Messer alles um das Zweigestirn »Exil und Heimkehr« dreht, macht der Autor früh unmissverständlich klar indem er alles gnadenlos verdoppelt. Kuba hat zwei Nabel: seinen eigenen und jenen seine Zwillingsbruders, der lange als »ausgewachsener, toter Fötus, konserviert wie eine Mumie«; in Kubas Bauch existierte. Da Kuba aus Wilimy) stammt, muss es ihn in die deutsche Stadt »W.< verschlagen. Dort zeugt er, klar, unverzüglich Zwillinge. Dass alles zweifach durchlitten wer-den muss, ist des Vertriebenen ungemütlichstes, aber auch banalstes Schicksal.
Natürlich hat auch Jugendliebe Marta, Auslöser dieser deutsch-polnischen Gesamtbescherung, ihr unvermeidliches Pendant. Kaum ist Kuba in Wilimy eingetroffen, wird er von seiner einäugigen Tante Ala und deren zeitweiligem Liebhaber, dem Hilfsarbeiter und Säuferphilosophen Wojtek, auf die geheimnisvolle und ebenso attraktive Justyna Star, die Hoteldirektorin mit dem Bond-Girl-Namen, aufmerksam gemacht. Würde Marta noch leben, gliche sie dieser, entsprechend gealtert, wie ein Ei dem anderen. Schon rein aus Symmetriegründen muss es Kuba zu Justyna hinziehen, und bald knistert und kracht es nur so an den Stränden des Dadajsees. Ach ja, und der konsequenten Verdoppelung zuliebe erfährt man irgendwann, dass Marta zum Zeitpunkt ihres Todes schwanger war, so wie auch Justyna ein Baby abgetrieben und begraben hat, was wiederum den Babysarg zum Doppelgänger von Kubas Bauch werden lässt.
Mit von der Partie ist ferner ein Messer, und zwar nicht irgendeines, sondern eines, das spricht. Diese Gabe verdankt das missbrauchte Küchengerät Kubas Vater, der damit Kubas Mutter und deren Liebhaber erstochen hat. Erfreulicherweise meldet sich das für den Titel des Romans zeichnende Mordinstrument hin und wieder, um seinen derzeitigen Besitzer aufzufordern, jemanden umzubringen, ohne Zweifel, um sozusagen etwas Leben in die Handlung zu bringen. Denn man möchte mit Tschechow rufen, dass, wer ein Messer im ersten Akt sprechen lässt, es im fünften auch zu-stechen lassen muss! Aber leider bleibt dieser Wunsch unerhört.
Daran leidet Beckers Roman: Er wartet mit einem Figurenkabinett auf, das eine reiche Handlung im Dienste eines magischen Realismus der slawischen Art in Aussicht stellt. Doch immer wenn das Feuerwerk entfacht werden soll, greifen die faulen Helden zur Flasche und schwafeln sich und den Leser um den Plot.
Das gilt selbst für die lebhaftere (und mordlustigere) Vergangenheit, mit der der Roman zeitweilig zu unterhalten vermag. In regelmäßigen Abständen etwa werden prominent die drei Stichwörter »Arbeiterstreiks in Gdansk«, »Czeslaw Milosz« und Keith Jarretts »Sun-Bear-Konzerte« wiederholt, sodass es auch hier berechtigt ist, auf etwas Vertiefung zu hoffen. Doch nichts dergleichen geschieht. Es ist spiralförmig angelegtes Geschwätz: Je länger sich die Bohrschraube dreht, umso klarer wird, dass hier nie Öl sprudeln wird.
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