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Literaturen 11 / November 2008
Rezension / Kurz & Bündig
Von Sigrid Löffler
Nicht schon wieder, denkt der Leser. Nicht schon wieder ein Roman über eine versuchte Rückkehr in die alte Heimat im Osten, nicht schon wieder eine familiengeschichtliche Spurensuche, um nach der Wende die Erinnerungen mit dem Heute vor Ort abzugleichen. Dochdoch, sagt der Deutsch-Pole Artur Becker, der 1968 in Masuren geboren wurde und inzwischen auch auf Deutsch schreibt. Und legt den Roman „Wodka und Messer“ vor, in dem der emigrierte Deutsch-Pole Kuba, der in Deutschland inzwischen Job, Haus und Familie hat, im Sommer 2006 nach Jahrzehnten die alte Heimat am masurischen Dadajsee besucht, um herauszufinden, was an Familie und Erinnerungen noch vorhanden ist. Wie sich herausstellt: eine ganze Menge. Immer noch liegen das ostpreußische und das polnische Fischerdorf vis-à-vis und sind einander nicht grün. Immer noch sind die Polen hüben katholisch und die deutschen Masuren drüben protestantisch. Und immer noch geht der Riss mitten durch Kuba hindurch, dessen ostpreußischer Vater seine polnische Mutter vierzig Jahre zuvor aus Eifersucht ermordete – vor den Augen des siebenjährigen Sohnes. Zwar hat Polens EU-Beitritt die Seen-Region inzwischen oberflächlich modernisiert und mit Tourismus und einem schicken Wellness-Hotel ausgestattet, wie Kuba feststellt, der sich in die Hoteldirektorin verliebt; doch die alten Mentalitäten sind noch in Kraft und ziehen Kuba wieder in ihren Bann. Er lässt sich fallen, inmitten alter Bekannter und Verwandter, die immer noch den Gebräuchen von einst huldigen, als Tagediebe, Wilderer und gewaltige Wodka-Trinker. Aber auch die Zeiten des Kriegsrechts rumoren noch und ragen ins Heute hinein, in Gestalt ehemaliger Geheimdienstler und Spitzel, die im neuen Polen politische Karriere gemacht haben. Zum Symbol für alles Untergegangene und Wiederauftauchende baut Artur Becker den Dadajsee auf, macht ihn zum mythischen Ort und stattet ihn mit übernatürlichen Eigenschaften aus. Der Dadaj ist gewalttätig, mörderisch, unberechenbar, unheimlich, opfergierig – eine heidnische, pruzzische Gottheit. Im Dadaj ist zu Zeiten des Kriegsrechts Kubas schwangere Freundin auf der Flucht ertrunken – und auch dafür fordert der dämonische See ein Opfer. Was „Wodka und Messer“ von den üblichen Spurensucher-Romanen unterscheidet, ist Artur Beckers zweischneidiges Talent, seinen lebensprallen realistischen Erzähl-Stil mit Wiedergängern, Waldgespenstern und Naturgöttern mythisch aufzuladen und dabei auch vor albernen Requisiten wie etwa einem dämonischen sprechenden Messer nicht zurückzuschrecken. Eine saftige Lektüre für sprachlich nicht allzu Anspruchsvolle garantiert der Roman allemal.
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