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Frankfurter Allgemeine Zeitung, Literaturbeilage, 17.10.2008
Vierzehn Minuten mit dem Autor
Der erste Abend von »Literatur im Römer«: Acht Gespräche und Lesungen
Von Adolf Fink
Selten ist ein Abend dieser ältesten Literaturveranstaltung Frankfurts so von einem Thema bestimmt worden: Es ging fast ausnahmslos um die Furie des Verschwindens. Die acht eingeladenen Autoren und Autorinnen stellten ihre neuen Bücher vor: sieben Romane und ein Erinnerungsband. Bedauerlich nur, dass kein ausländischer Schriftsteller unter den Gästen war. Denkt man an den Türkei-Schwerpunkt dieser Buchmesse, hätte man einen türkischdeutschen Autor erwarten dürfen.
Ansonsten muss man feststellen, dass die Umstellung von der WDR-Fernsehaufzeichnung auf den guten alten Rundfunk und die Live-Übertragung der Veranstaltung durch SWR 2 die Dramaturgie des Ablaufs nachhaltig verändert haben. Jetzt muss alles in zwei Stunden abgehandelt werden, was zur Folge hat, dass eine Assistentin den beiden Moderatoren mit der Hand signalisiert, wie viel von den für jeden Autor vorgesehenen dreizehn oder vierzehn Minuten noch verbleibt. Spontaneität und Unmittelbarkeit sind auf diese Weise ausgeschlossen, und es ist sehr fraglich, ob die damit gewonnene Gleichförmigkeit des Verfahrens den hohen Preis wert ist.
Den Anfang machte Norbert Gstrein mit »Der Winter im Süden«, dessen in Wien lebende Hauptfigur Marija von einer Nachricht ihres Vaters überrascht wird. Seiner Verstrickung in den kroatischen Ustascha-Staat wegen ist er nach dem Krieg nach Südamerika geflohen und hat sich 45 Jahre lang nicht blicken lassen. Marija reist allein nach Zagreb, es bleibt ungewiss, ob es zu einem Treffen kommt. Gstreins kultiviert formuliertes Buch führt in ein Krisengebiet, das die deutschen Schriftsteller bislang eher gemieden haben. Ihm an die Seite kann man sicher Uwe Timms »Halbschatten« stellen. Es bleibt dem Erzählprinzip des Autors treu, authentisches Material mit Fiktion zu verbinden. Ausgangspunkt sind die Gräber des Invalidenfriedhofes in Berlin, der vor 1989 im Grenzstreifen zwischen Ost und West lag. Eine zentrale Rolle spielt die hier begrabene Marga von Etzdorf, die sich als waghalsige Fliegerin in den zwanziger Jahren einen Namen machte, bevor sie 1933, nur 26 Jahre alt, ihrem Leben ein Ende setzte. Timm verteidigte die von ihm erfundene Liebesgeschichte - von Etzdorfs Briefe und Tagebucheintragungen zeugten von Empfindsamkeit und Empathie. Timm pries die große Permissivität der Gattung des Romans. Für die Augenblicke seines Buches, in denen die imaginären Stimmen seines Friedhofshandlungsortes wie in einem Oratorium zusammenklingen, empfahl er, der besseren Identifizierung wegen, konzentriert rasche Lektüre.
Bei anderen Autoren des Abends war festzustellen, wie häufig und wie verschieden Verfahren des Kriminalromans inzwischen genutzt werden. Judith Kuckart erzählt in »Die Verdächtige«, wie Mara Burg den Verlust ihres Freundes nach einer Geisterfahrt anzeigt und der vernehmende Kommissar sich in sie verliebt. Merke: Man begreift das Glück nicht, wenn es passiert. Heinrich Steinfest, in Australien geboren und jetzt in Stuttgart lebend, gehört zu den besten Vertretern des deutschen Kriminalromans. In »Mariaschwarz« geht es um das Verschwinden eines kleinen Mädchens und eine symbiotische Beziehung zwischen Wirt und Gast. Dass der Ermittler Lukastik erst auf Seite 120 auftaucht, erklärte Steinfest damit, dass er, wenn er anfange zu schreiben, das Ende noch nicht kenne. In »Wodka und Messer« bietet Artur Becker eine vitale Verbrechensgeschichte um Kuba Dernicki, dessen große Liebe Marta im polnischen Dadajsee ertrinkt, weshalb er nach Berlin kommt, eine einträgliche Stellung als Computerfachmann findet, heiratet und trotzdem, der Kindheit und der ersten Liebe wegen, in seine Heimat zurückkehrt, die ihm fremd geworden ist. In seinem wilden Fabulieren erinnert Becker ein wenig an Jurek Becker. Auch Karl-Heinz Ott erzählt in »Ob wir wollen oder nicht« eine Kriminalgeschichte. Doch nicht deren Plot, sondern die wunderbar musikalische Sprache schlägt in Bann.
Bleiben zum Schluss der Jüngste und die Älteste. Der 31 Jahre alte Thomas von Steinaecker bewegt sich als Literatur- wissenschaftler und Romancier zwischen Textwelten und Bildwelten. »Geister« erzählt die Geschichte der verschwundenen Ulrike aus der Sicht ihres jüngeren Bruders. Jürgen sieht sie als Foto, als Film und wohl auch als Halluzination. Der zweite Teil des Buches gehört der Comic-Zeichnerin Daniela Kohl, die die Geschichte weiterspinnt und zu Ende führt. Von Steinaecker hält nichts vom kulturpessimistischen Gejammer über den Niedergang des Textes und den Aufstieg des Bildes. Er wagt, im Gegenteil, die These, das Buch habe noch nicht alle seine Möglichkeiten ausgereizt. Ruth Klüger schließlich hat sechzehn Jahre nach »weiter leben« eine Fortsetzung veröffentlicht. Im Römer wirkte sie in ihrem Ernst und ihrer Entschiedenheit, ihrer Uneitelkeit und ihrer Kritikfähigkeit völlig überzeugend.
Zum Lob des ersten Abends von »Literatur im Römer« sei gesagt, dass mehr als sonst auf ästhetische Qualität geachtet wurde und dass die beiden Moderatoren - Gerwig Epkes und zum ersten Mal Sigrid Löffler – ihre Sache gut machten, weil sie auf autobio- graphische Unterstellungen verzichteten und kenntnisreich und kompetent über die Bücher des Abends sprachen.
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