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Frankfurter Rundschau, 7. Juli 2015

Die Liebenden vom Hotel Kanada - nur die Kunst schaut zu, wenn Andrzej und Lidia sich in Venedigs Kirchen, Gassen, stillen Ecken treffen.

Von Judith von Sternburg

Zwei Ausnahmezustände: Artur Becker erzählt in seiner Novelle „Sieben Tage mit Lidia“ von einer polnischen Amour fou in Venedig 1981.
Der Titel macht keine Umstände. Diese Geschichte heißt nicht „Ein Leben mit Lidia“ oder „Eine Zukunft mit Lidia“, sie heißt „Sieben Tage mit Lidia“. Und das wird es am Ende gewesen sein.
Der 1968 in Polen geborene Schriftsteller Artur Becker, der seit dreißig Jahren in Deutschland lebt, geht in seiner Novelle zurück in den bedrückenden Winter 1981. Am 13. Dezember, dem Tag, an dem das kommunistische Regime das Kriegsrecht ausruft, um der Demokratiebewegung im Land Herr zu werden, befindet sich der Dichter Andrzej in Venedig. Er trifft Lidia wieder. Das Kind seines alten Freundes, vor Jahren emigriert, ist jetzt 23. Sie weiß bereits, dass in der gemeinsamen Heimat schlimme Dinge vor sich gehen, er kann es zuerst nicht glauben. Er findet sie wunderschön, auch ist sie zuvorkommend und offenherzig.
Die ersten Seiten leiten einen Ausnahmezustand ein, zwei Ausnahmezustände. Auf Seite 25 sagt er sich bereits: „Pass auf, Junge, du bist nicht mehr zwanzig (vielmehr ist Andrzej 26), und du verliebst dich nicht mehr.“ Währenddessen verliebt er sich selbstverständlich. Alles flirrt, kein Wort ist mehr nur für sich alleine da.
Andrzej ist verheiratet, er hat ein kleines Kind. Er fühlt sich unter Druck wegen der Ereignisse in Polen. Sein Visum wird auslaufen, sein alter Freund, Lidias Vater, versucht ihn zu überreden, unbedingt in Italien Asyl zu beantragen. Andrzej fällt auch immer wieder einmal ein, dass er doch jetzt etwas unternehmen müsste, direkt zurückfahren, wenigstens endlich seine Frau erreichen – die Kommunikationshindernisse der Festnetzzeit sind ungeheuer und spielen eine wesentliche Rolle in „Sieben Tage mit Lidia“.
Nichts planen, wenig reden
Tatsächlich aber denkt Andrzej ausschließlich an Lidia. Lidia geht es, ohne dass wir Näheres über sie erführen, ebenso. Sie fangen an, sich in einem Hotel mit dem außereuropäischen Sehnsuchtsnamen Kanada zu treffen. Sie schlafen häufiger miteinander, als man sich das in einer Woche überhaupt vorstellen kann. Sie planen nichts, sie reden einiges, dann schlafen sie wieder miteinander.
So dass Artur Becker von einer Amour fou erzählt, die sich der Leser zwar als Folge der besonderen Situation irgendwie erklären würde, deren Besonderheit es aber ist, selbst ohne Erklärung auszukommen. Andrzej ist ein auf sympathische Art unentschlossener Jedermann. Lidia ist in Maßen originell. Mit ihrem jugendlichen Pathos („Du bist ein großer Dichter – seit Milosz die größte Hoffnung ... Diese Mörder dürfen dich nicht töten“) kann er wenig anfangen („Lidia! Hör auf!“).
Wer liebt, denkt nicht und reflektiert unscharf. Stattdessen zieht er Schlüsse, die der Liebe gelegen kommen: bleiben, so lange es geht, und länger würde es ohnehin nicht gutgehen. Lieber sucht man die nächste Gelegenheit zum Treffen in den Kirchen, Gassen, auf den abgeschiedenen Plätzen von Winter-Venedig.
Becker erzählt eigentlich ganz spröde davon, soghaft antivirtuos, analog zur Direktheit der Liebe. Spröde sind ebenso die Zukunftsaussichten, die sich auftun, beziehungsweise nicht auftun. Andrzej aber hat damit zu tun, dass er Lidia bereits vermisst. Im Grunde geht es auch darum, wie enorm ignorant der Mensch ist. Liebende würden sagen: wie konzentriert.
Artur Becker: Sieben Tage mit Lidia. Novelle. weissbooks.w, Frankfurt a. M. 2014. 197 Seiten, 17,90 Euro.


 

 

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