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Rheinischer Merkur, 14.10.2010

Preisvergaben – Bei der Auswahl stehen meist strategische Hintergedanken im Vordergrund? Jede Ehrung hat ihre Tücken

Von Andreas Öhler

Unzählige Male ist in dieser Rubrik über Sinn und Unsinn von Preisvergaben geschrieben worden. Wir haben den Lorbeer zerpflückt, wenn er die falschen Häupter bekränzte, wir haben aber auch gerühmt, wo wir es für angebracht hielten. Nicht ohne Amüsement haben wir beobachtet, wie sich biedere Provinzstädtchen verzweifelt darum bemühten, einen großen Namen wenigstens für einen Tag in ihr Rathaus zu locken, um ihm eine Ehrung anzuhängen. Er sollte einem unbedeutenden Preis zur Reputation verhelfen, das gestiftete Geld konnte als Tourismusmarketing verbucht werden. Nur naive oder besonders eitle Preisträger sehen über die Tatsache hinweg, dass sie unweigerlich zum Spielball werden in einem auf Wettbewerb ausgerichteten Markt, bei dem immer strategische Hintergedanken im Vordergrund stehen.

Dass Melinda Nadj Abonji den Deutschen Buchpreis für ihren Roman »Tauben im Gras« erhielt, daran ist nichts auszusetzen. Dass es jedoch gerade jetzt eine gebürtige Serbin traf, die als Immigrantin in der Schweiz zu Sprache und neuer Identität finden musste, passt zu schön in die gegenwärtige Migrationsdebatte, als wäre die Kür als eine Ohrfeige für Einwanderungsskeptiker à la Thilo Sarrazin oder Horst Seehofer geschickt platziert worden. Wenn die Kritik nun Abonji feiert, mit ihr sei die Immigrantenliteratur im deutschsprachigen Raum endgültig angekommen, ist das leider auch ein Schlag ins Gesicht so renommierter Autoren wie Artur Becker oder Feridun Zaimoglu, die seit Jahren erfolgreich dieses Genre bedienen. Frau Abonji ist mit solchem Lob jedenfalls nicht gedient.

Doch es geht auch anders: Der diesjährige Literatur- nobelpreisträger Mario Vargas Llosa ist als Altmeister lateinamerikanischer Literatur keine Überraschung, die die Geister scheidet. Bei der Auswahl des Friedensnobelpreisträgers setzte das Osloer Komitee dagegen auf die Provokation der chinesischen Diktatur, die bei der gerade grassierenden Außenhandels-Euphorie zu wenig als restriktives System wahrgenommen wird. Für den inhaftierten Dissidenten Liu Xiaobo kann diese Auszeichnung lebensrettend sein. Als Carl von Ossietzky 1935 denselben Preis erhielt, saß er im KZ. Die Nazis untersagten ihm, den Preis in Oslo entgegenzunehmen. Er starb an den Folgen der Haft. Dass sich die Bilder nicht bis zum bitteren Ende gleichen, dafür kann ein solcher Preis gut sein. Nicht hinter jeder hohen Ehrung stehen also niedere Beweggründe.«

 

 

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