Der Adelbert-von-Chamisso-Preis ist die bedeutendste literarische Auszeichnung für Autoren mit sogenanntem Migrationshintergrund. In diesem Jahr geht er an den gebürtigen Polen Artur Becker.
Der 41jährige Autor schreibt offensichtlich immer. Nicht nur seine Sprache bordet manchmal über, auch seine Arbeitslust. Artur Becker plant schon bis 2011. Oder war es 2012? Egal: Was zählen schon Jahre, wenn man bedenkt, dass er genug Material hätte, alle paar Monate einen Roman zu veröffentlichen. Man muss ihn nicht antreiben, sondern eher bremsen. Sein im Herbst erschienener Roman "Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken" hat 470 Seiten und das ist schon der stark gekürzte Text. Nein - Artur Becker ist niemand, der mit geringer Produktivität zu kämpfen hätte oder mit mangelnden Ideen. Ist ein Buch fertig, wird am nächsten schon längst geschrieben. Redet der Autor über ein Thema, beschäftigt er sich gedanklich schon mit einem anderen.
Die Sehnsucht nach der Heimat
Sein aktuelles Buch "Wodka und Messer" ist ein Rückkehrer-Roman. Der Held hatte in den 80er Jahren Polen in Richtung Westdeutschland verlassen, kehrt aber nach der Wende für eine kurze Reise nach Masuren zurück. Er bleibt deutlich länger als er wollte, seine Erinnerungen holen ihn ein - er hat das Gefühl, noch so viel von dem verstehen zu müssen, was er damals hinter sich gelassen hatte. Artur Becker, der 1968 im masurischen Bartoszyce, dem ehemaligen Bartenstein, geboren wurde, schreibt hier durchaus über sich selbst. Auch er verließ 1985 Polen und "brannte alle Brücken ab", wie Becker sagt.
Der damals 16jährige folgte seinen Eltern, die sich in Verden an der Aller in der Nähe von Bremen niedergelassen hatten. Der Umzug in den Westen kam nicht ganz freiwillig: Artur Beckers Vater stammte aus einer deutschen Familie und war damals regelmäßig im Westen. Eines Tages blieb er einfach da. Die Ausreise war für Polen einfacher als für DDR-Bürger, es bedurfte vor allem eines Bürgen im Westen. Der ließ sich auftreiben. Und so kam der polnische Schüler Becker nach Verden - mit wenigen Habseligkeiten: paar Platten, Zigaretten, die Briefe seiner Freundin Magdalena, die in Polen geblieben war, ein paar Zeilen selbstgeschriebener polnischer Lyrik, und nur wenige Worte Deutsch. Nur ein paar Tage später saß er schon in der Abiturklasse und holte nach, was er konnte.
Verliebt in die deutsche Sprache
Etwas Deutsch hatte ihm seine galizische Großmutter Erna beigebracht, aber im Grunde fing er bei Null an. "Diese Entscheidung war sehr schmerzlich", berichtet Artur Becker, "weil mir klar wurde, dass ich mich scheiden lasse von der polnischen Literatur, von der polnischen Dame." Als der Verleger Bernd Gosau den jungen Schriftsteller Ende der 80er Jahre kennenlernte, riet er ihm zunächst, zum besseren Verständnis einen Sprachkurs zu machen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Artur Becker gerade für die Sprache des neuen Landes entschieden.
Es ist aber nicht so, dass er den Wechsel zum deutsch wirklich mag. Bei diesem Thema wird der Autor, der sonst überbordet vor Erzähllust, einsilbig. Deutsch nennt Artur Becker seine Literatursprache, seine "Dienstsprache". Aber wirklich glücklich scheint er damit nicht zu sein. Es bleiben zwei Welten - sogar in seinem Arbeitszimmer. Die Bibliothek ist zweigeteilt: Rechts die deutschen Bücher, links die polnischen. Kein Buch steht auf der falschen Seite.
Das Polnische ist privat
Damals, als Artur Becker als 16jähriger in Verden ankam, schrieb er nur auf Polnisch; das kann er jetzt nicht mehr. Diese Phase sei vorbei, das Polnische ist im rein Privaten gelandet - wenn er mit seiner Frau Magdalena, mit seinem 14jährigen Sohn Philip oder mit Freunden aus der alten Heimat spricht. Seinen literarischen Ton hat der Schriftsteller endgültig im Deutschen gefunden. "Diese Sprache ist meine Geliebte", sagt Artur Becker, wenn auch eine "sehr strenge Geliebte". Sie hat großen Sinn für Logik und Struktur, und somit ist auch irgendwie auf sie Verlass. Dennoch: auch Becker spürt, dass Deutschland auch in Zeiten der Globalisierung von der Einwandererkultur der USA oder der Schweiz noch weit entfernt ist. Hier, so findet er, zählen Stamm und Herkunft eben immer noch, während Sprache, Kultur, Identität erst erkämpft werden müssen; trotz vieler Versuche könne man als Einwanderer trotzdem fremd bleiben. Die Bezeichnung "deutsch-polnischer Autor" mag Becker überhaupt nicht: "Ich bin polnischer Autor deutscher Sprache". Das sei für viele Deutsche schwer zu verstehen, aber: "Ich kann es nicht ändern."