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Wie Sand am Fluss
Saša Stanišić trifft Artur Becker
Ein Interview

Sie haben beide erst als Teenager Deutsch gelernt. Artur Becker (38) hat jetzt seinen achten Roman »Das Herz von Chopin« veröffentlicht. Saša Stanišić (28) hat es mit seinem Debüt »Wie der Soldat das Grammofon repariert« in die letzte Auswahlrunde für den Deutschen Buchpreis geschafft. Ein Kennenlernen.


Konrad Lischka: »Der Kampf mit der deutschen Sprache hat mich um Lichtjahre zurückgeworfen«, sagt der Held Ihres neuen Buchs, Herr Becker. Ist das Ihre Erfahrung?

Artur Becker: Ja. Aber das liegt schon 21 Jahre zurück. So lange her, dass ich inzwischen Zweitmuttersprachler geworden bin. Aber ich kann mich daran erinnern, was das für ein Akt war, bis ich bei den einfachsten, alltäglichsten Sachen verstanden wurde. In meinem neuen Roman gibt es eine Szene, wo Chopin an der Fleischtheke steht und wie ein Schwein grunzen muss, weil er nicht weiß, was Schnitzel auf Deutsch heißt.

Saša Stanišić: Haben Sie das erlebt?

AB: Meine Cousins aus Kanada haben mir von einem Polen erzählt, der dort so einkaufen muss. Aber auf der Metaebene habe ich heute noch, nach 21 Jahren manchmal solche Momente. Dieses Ringen ums Verstehen, das ist ein lebenslanger Prozess.

SS: Das ist interessant. Ich trenne beide Sprachen ähnlich. Einerseits pragmatisch, mein Deutsch ist viel besser als mein Bosnisch. Andererseits emotional: Wenn ich Deutsch spreche, setzte ich mich viel aktiver mit der Sprache auseinander. Mein Bosnisch ist direkt, unmittelbar, unreflektiert.

AB: Sie haben das Gefühl, dass Sie aus dem Bosnischen herausgewachsen sind?

SS: Ja. Vielleicht, weil ich so jung, mit 14, nach Deutschland kam. Wann kamen Sie?

AB: Mit 16. Ich ging hier zur Schule, konnte meine Jugend in Deutschland zu Ende bringen. Das heißt, ich hatte noch diesen wichtigen Abschnitt des Staunens. Wäre ich mit 23 oder 25 gekommen, ginge das nicht.

KL: Haben Sie schon in Ihrer ersten Muttersprache geschrieben?

SS: Zwei Romane im Kalender meines Vaters.

AB: Und die sind vollendet?

SS: Ja. Das eine ist eine Harry-Potter-Geschichte mit mir als Harry Potter. (lacht) Und das andere ist eine Fußballgeschichte mit mir als Helden, der alle Turniere gewinnt und zum Schluss den entscheidenden Pass spielt. (lacht)

AB: Ich wusste mit zwölf Jahren, dass ich Autor werde.

SS: Haben Sie damals geschrieben?

AB: Ja, Gedichte für meine Mutter.

KL: Mit wem haben Sie Deutsch gelernt?

SS: Ich hatte an der Schule sehr intensiven Sprachunterricht. Aber viel gelernt habe ich mit Freunden.

AB: Auf der Straße?

SS: Ja, beim Fußballspielen. Ein Junge in meiner Klasse wohnte Tür an Tür, hat mich immer mitgenommen. Da musste ich einfach Deutsch lernen, um dazuzugehören.

AB: Meine Geschichte ist sehr ähnlich. Mit einem Unterschied: Ich kam 1985, da war die Bundesrepublik ein anderes Land. An meinem Gymnasium gab es zweieinhalb Polen und nicht einen Türken. Die Nachbarn haben sich für uns Spätaussiedler interessiert. Ich erinnere mich, dass ich in Deutsch meinen ersten Aufsatz über Anderschs »Sansibar oder der letzte Grund« schreiben musste. Ohne meine Nachbarin, die damals Mitte 60 war, hätte ich das nie geschafft. Diese Unterstützung war phänomenal. Heute mag das anders sein.

KL: Und wann ging es beim Lernen der Sprache nicht mehr nur ums Verständigen, sondern auch ums Schreiben?

AB: Für mich war das ein langer Kampf. Ich habe 1987 noch Gedichte in polnischen Zeitungen veröffentlicht. Ich habe mich später, 1990, sehr bewusst fürs Deutsche entschieden. Nicht für die Tradition der deutschen Literatur und Sprache. Mir war klar: Ich werde nur im Deutschen meine Leser erreichen. Und ich wollte nicht für die Schublade schreiben.

SS: Ich habe erst auf Bosnisch geschrieben, das war in den ersten Monaten in Deutschland sehr wichtig für mich. Ich habe im Fernsehen den Krieg gesehen und wollte, musste irgendwie verarbeiten, was da passiert. Also habe ich geschrieben. Nach vier, fünf Monaten hatte ich einen Deutschlehrer, dem auffiel, dass ich still bin, aber ständig vor mich hinkritzele.

AB: Und?

SS: Als mein Deutsch gut genug war, habe ich ein Gedicht übersetzt. Er ist es mit mir Wort für Wort durchgegangen. Dann hat er einmal gesagt: Versuch es doch gleich auf Deutsch. Dieses erste Gedicht habe ich noch zu Hause, alles rot, er hat viel angestrichen.

AB: Er kann heute stolz sein!

SS: Ja. Beim Buchpreis war er jetzt dabei, das war für ihn großartig.

KL: Sie sind beide sehr erfolgreich, die deutsche Sprache ist Ihr einziges, Ihr wichtigstes Werkzeug – aber nicht Ihre erste Muttersprache. Was ist das für ein Gefühl?

AB: Jedes Buch ist ein Neuanfang, eine Prüfung. Ich habe so viele Zweifel, so viele Ängste jedes Mal. Ich neige deshalb zu einer Genauigkeit, die manchmal nerven kann, manchmal dem Text gut tut. Für mich darf es keine unlogischen Sätze geben. Weil wir anders geprüft werden, weil wir nicht Muttersprachler sind. Mir sitzt diese Angst im Nacken, deshalb überarbeite ich jeden Text 60-, 70-mal, worüber einige Kollegen lachen.

SS: Das passiert mir auch, selbst bei den kleinsten Notizen, wenn ich auf die Bahn warte, dass ich mich nicht mit dem ersten Satz zufrieden gebe. Das finde ich wesentlich, die Auseinandersetzung mit der für uns immer neuen Sprache.

KL: Wann haben Sie zuletzt den Satz gehört: »Sie sprechen aber gut deutsch.«?

SS: Fast ein Jahr her. Da habe ich bei einer Feier erzählt, dass ich seit 13 Jahren hier lebe, da hat das eine Frau gesagt. Ich meinte: »Sie nicht so.«

AB: Ach... Das passiert ja immer wieder. Grausam ist das. Eine andere, sehr schöne Situation voriges Jahr: Nach einer Lesung kam eine Greifswalderin auf mich zu und sagte: »Es gibt so etwas nicht wie Sand am Fluss, das muss wie Sand am Meer heißen«. Ich habe ihr nicht versucht zu erklären, dass ich dieses klischeehafte Bild umgehen wollte und da Czeslaw Milosz zitiert habe.

SS: Dass wir solche Elemente aus unserer Muttersprache mitnehmen können, das mag ich an der deutschen Sprache so. Ich habe zum Beispiel aus dem Bosnischen das Bild »Taub wie eine Kanone« übernommen. Das Deutsche ist sehr flexibel, bei Wortneubildungen zum Beispiel. Das mag ich sehr.

KL: Befürchten Sie, auf ein Thema reduziert zu werden?

AB: Ich lese das manchmal in Kritiken: »Becker erzählt immer Geschichten zwischen zwei Kulturen.« Der Vorwurf ist Unsinn, den könnte man Günter Grass machen, dessen Geschichten nun seit 40, 50 Jahren um Danzig kreisen. Ich finde, dass Autoren, sobald sie wirklich literarisch arbeiten, monothematisch sind. Wenn ich mal Schubladen aufmachen darf: Es gibt drei Sorten von Autoren. Kindheitsautoren wie mich. Autoren, die um ein ästhetisches, ein metaphysisches Thema kreisen wie Elliot. Und Autoren, die an philosophischen Fragen arbeiten wie Sartre.

SS: Ich versuche ein ganz anderes Thema, ein Theaterstück über alte Menschen. Welche Wünsche, Sehnsüchte haben sie?

AB: Ich hoffe, dass es ihnen gelingen wird. Aber ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie sich von ihren Erlebnissen befreien werden können.

SS: (lacht) Natürlich, Bosnien wird nie abgeschlossen sein. Aber für mich gibt es im Moment Zwingenderes zu erzählen. Ich gehe für mein Stück in ein Altersheim, ich werde da mit den Menschen meine Tage verbringen, möchte sie berühren, vielleicht sogar waschen. Ich bin jung, ich will etwas erfahren, auch meine Grenzen.

AB: Ich betrachte mein Leben als Recherche. Natürlich, ich verstehe Ihren Hunger nach Neuem. Autoren sollen glücklich sein, wenn sie so neugierig sind, immer jung bleiben. Andersrum gesehen, rein merkantil: ich bin 38, als Fußballer hätten sie mich längst ausgemustert.

SS: Als Torwart ginge es noch.

AB: Da müsste ich sehr gut sein. Man hätte mich entlassen, zumindest in der Ersten, Zweiten Liga. Autoren müssen nie in Rente. Nur wenn wir anfangen, im Kopf zu altern, dann geht die Geschichte schnell zu Ende, das Schreiben den Bach runter.

 

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