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Hannoversche Allgemeine Zeitung Juni 2004
Interview
zu der Lesung in Klagenfurt
Mit
Artur Becker spricht Martina Sulner
Martina
Sulner: Sie lesen, nach 2001, bereits zum zweiten Mal in Klagenfurt.
Sind Sie masochistisch veranlagt?
Artur Becker: Das hat tatsächlich mit Masochismus zu
tun, genauso wie Schreiben. Davon abgesehen, kann der Wettbewerb
einen Autor enorm weiterbringen. Mir hat er vor drei Jahren zu mehr
Aufmerksamkeit verholfen. Einen großen Verlag hatte ich schon.
MS: Und dafür lässt man sich eine halbe Stunde
vor laufender Kamera beschimpfen?
AB: Die Juroren sind ja nicht auf den Kopf gefallen, und
außerdem gibt es auch postive Kritiken.
MS: Was aber keine Garantie dafür ist, einen Preis zu
gewinnen.
AB: Klagenfurt ist unberechenbar. Ich habe vor drei Jahren
viele positive Kritiken bekommen, doch genützt hat es beim
Wettbewerb nichts. Man muss sich das ungefähr so verstellen:
Es lesen 18 Autoren. Die Hälfte davon stellt einen guten Text
vor, die Hälfte von dieser Hälfte bekommt einen Preis,
die andere nicht. Letztlich ist es Glückssache.
MS: In diesem Jahr lesen bekannte Autorinnen wie Juli Zeh
oder die Aspekte-Preisträgerin Roswitha Haring. Sind die bei
der Jury im Vorteil?
AB: Das glaube ich nicht. Außerdem waren von Beginn
an regelmäßig renommierte Autoren dabei, etwa Wolfgang
Hilbig oder Joseph von Westphalen. Der Unterschied zu früher
ist allerdings, dass heute das Auftreten eines Autors viel wichtiger
ist. Nach Klagenfurt werden auch bekannte Namen eingeladen, aber
die Juroren sagen jedes Mal , die Qualität der Texte sei entscheidend.
MS: Das klingt nach viel Show und wenig Inhalt.
AB: Im Literaturbetrieb wird tatsächlich viel Wirbel
gemacht; der Autor erscheint oft wichtiger als der Text. Man erwartet
von den Autoren Präsenz in den Medien, regelmäßige
Veröffentlichungen in Zeitschriften, Lesungen in Buchhandlungen.
Allein in diesem Jahr waren bei mir schon vier Kamerateams zu Hause.
MS: Das ist doch prima Werbung. Warum jammern Sie darüber?
AB: Ich beschwere mich überhaupt nicht, man muss nur
professionell damit umgehen und, vor allem, rechtzeitig einen Schlussstrich
ziehen. Sonst kommt man gar nicht mehr zum Schreiben.
MS: Was haben Sie für Klagenfurt geschrieben?
AB: Ich arbeite an einer Novelle, die im kommenden Frühjahr
erscheinen soll, die ich aber nicht extra für Klagenfurt geschrieben
habe. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Jüdin und
einem deutschstämmigen Polen. Die Geschichte spielt in der
Gegenwart und hat eine Parallelhandlung, die im Zweiten Weltkrieg
angesiedelt ist.
MS: Und die üben Sie jetzt regelmäßig?
AB: Noch nicht. Den Text kenne ich sehr gut, ich habe ihn
50- bis 70mal überarbeitet. Vor meinem Auftritt werde ich ihn
einige Male üben, aber das Wichtigste ist, dass man seinen
Text nicht vorliest, sondern einen Erzählton findet.
MS: Das klingt recht abgeklärt.
AB: Ach, ich habe schon Lampenfieber. Die Erwartungen und
der Druck sind groß, aber ich habe letztlich nichts zu verlieren.
Und wenn der Wettbewerb zu Ende ist, tauche ich für drei Monate
unter und schreibe meine Novelle zu Ende.
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