Home
Prosa
Lyrik
Presse
Links
Varia
Galerie
Vita
Kontakt
Interview zu

Der Romancier Artur Becker hat erst mit 16 deutsch gelernt

ein fast akzentfreier Pragmatiker

Ein müder Herbsthimmel lässt den altehrwürdigen Saal des Literarischen Colloquiums ins Halbdunkel fliehen. Artur Becker nimmt Platz am großen Panoramafenster, die Hände in den Hosentaschen, und kehrt den Autorenporträts an der Wand den Rücken zu. Die Bedingungen hier seien wunderbar, trotz der drohenden Ablenkung durch die Stadt und andere Stipendiaten, hebt er fast akzentfrei an. Da helfe es nur, sich eine Woche im Zimmer einzuschließen, um zum Schreiben zu kommen.

Die dunklen Augen des 1968 geborenen Autors schweifen über den Wannsee, der in diesem Augenblick auch einer der masurischen Seen aus Beckers Kindheit sein könnte, an die es seine Romanfiguren immer wieder zurückzieht. Den Jurek im Romandebüt "Dadajsee" oder den Antek im gerade erschienenen "Kino Muza". Diese fremd bestimmten Schelmenfiguren, die in den Tag hinein leben und zwischen Deutschland und Polen und zwischen den Frauen hin und her pendeln. Immer auf der Suche.

Gerademal 35 Seiten habe er in den zweieinhalb Monaten seines Stipendiatenaufenthaltes hier geschrieben, berichtet Becker. Normalerweise schaffe er das in einem Monat. 2005 soll der neue Roman erscheinen, 350 Seiten. Auch ein Titel existiert schon: "Die Zeit der Stinte". Es geht um einen See, ein Flugzeug, zwei Menschen und den Mord an einem ehemaligen KZ-Wärter.

Beckers Aussagen über das neue Buch sind so exakt wie sein Camel-Hemd und das modische Herbstsakko. Nicht unbedingt typisch für einen Schriftsteller. "Diesen Pragmatismus musste ich mir zulegen", rechtfertigt sich der Autor ernst. "Ich hatte keine Wahl. Als ich 1985 mit 16 Jahren nach Bremen kam, sagte ich zur Begrüßung meines Cousins ,tschüß'. Ich konnte kein Deutsch, wollte aber Schriftsteller werden, weil ich in Polen schon Gedichte geschrieben hatte." Eine schmerzhafte Umerziehung begann. Abitur, Zivildienst im Pflegeheim, Germanistik-Studium. Mittlerweile hat Becker vier Prosa- und drei Gedichtbände herausgebracht. In Deutschland. In Polen noch keinen. "Um dort anzukommen, wäre es besser, polnisch zu schreiben. Doch aus der Literatursprache dort bin ich raus. Das Umlernen aber war zu anstrengend, um noch einmal von vorne zu beginnen."
Beckers deutschstämmiger Vater, Campingwart im Ferienort eines volkseigenen Wirkwarenbetriebes, wollte immer schon in den Westen. Doch der Geheimdienst war letztlich daran Schuld, dass er den Traum auch verwirklichte. "Als ihn die Stasi rekrutieren wollte, ging er."
Die Staatssicherheit spielt auch eine Rolle in "Kino Muza". Jeden Sommer kehrt die Hauptfigur Antek aus Deutschland zurück in die polnische Heimat. Nicht nur, weil er in beiden Ländern eine Geliebte hat. Auch, weil er mit Freunden in Bartoszyce einen Lebenstraum verwirklichen und das alte Dorfkino kaufen will. Als die Stasi in sein Leben tritt, verlässt er sein Heimatland und kommt kurz darauf ums Leben. Parallelen zu Beckers realem Leben sind nicht zu übersehen, auch wenn der Autor obligatorisch abwiegelt und betont, dass es sich nur um fiktive Figuren handle.
Dass er in Deutschland immer noch als Pole betrachtet wird, stört den Spätaussiedler. Aber der fremde Blick besitze auch Vorteile. Er selbst sieht sich in der Erzähltradition Hemingways. Inhalte sind ihm wichtiger als die Form. Geschichtenerzähler will er sein, sagt er, und bricht nach einem kurzen Blick auf die Uhr ab. Nach exakt zwei Stunden zieht es ihn wieder an den Schreibtisch.

[Aktuell] [Prosa] [Lyrik] [Presse] [Links] [Varia] [Galerie] [Vita] [Kontakt]

Copyright © 2017 Artur Becker
Alle Rechte vorbehalten. All Rights reserved