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Mit
Artur Becker spricht Florian Mosig (Universität Hannover)
Florian
Mosig: Zur Biographie: Über Ihr Leben ist wenig bekannt. Sie
wurden 1968 in Bartoszyce geboren und zogen 1985 nach Bremen. 1997
veröffentlichten Sie Ihr erstes Buch. Viele Autoren reden nicht
gerne über Ihre Biographie, deswegen möchte ich nur eins
wissen:
1. Was haben Sie zwischen 1985 und 1997 beruflich gemacht?
A
r t u r B e c k e r : Das war eine sehr schwierige Zeit. 1985
standen in den polnischen Läden Flaschen mit Essig, in den
Holzregalen lagen Brotlaibe. Milch und Butter gab es noch. Und manchmal
schlechte Wurst. Jetzt rede ich über den Magen. Aber ich bin
sehr hungrig nach Deutschland gekommen - poetisch und körperlich.
Ich sprach kein Deutsch, wurde aus Friedland nach Celle verfrachtet
und verbannt, und dort, im Jugenddorf für Spätaussiedler,
war es grausig. Ich, der damals noch polnische Lyriker, ein sehr
junges Talent, musste plötzlich mit 10-jährigen in einem
Klassenraum sitzen und die zweite Muttersprache erlernen (die Deutsch-lehrerin
hieß Kaffke - ob sie noch lebt? Gott hab sie selig!). Ich
kannte schon zu der Zeit, was Sex, Alkohol und Literatur sind, zumindest
glaubte ich, diese Dro-gen zu kennen. Und plötzlich dieser
infantile Rückschlag in Celle (wie ein Ge-fängnis)! Ich
beschloss nach nur 3 Monaten, das Jugenddorf zu verlassen. Meine
Mutter half mir bei der Aufnahme in das Verdener Gymnasium an der
Aller. Und der Mathematiklehrer Jeromin (ein deutscher Masure -
Ernst Wiechert lässt hier herzlich grüßen!). Dort
an der Aller schaffte ich das Abitur, und nur nach einem Jahr, also
nach der 10. Klasse, sprach ich bereits perfekt Deutsch - was auch
immer das heißen soll. Das erste Jahr war nicht einfach. Die
Sitten und Gepflogenheiten meiner Mitschüler kamen mir oft
sehr banal vor, obwohl ich viele gute Freunde gewonnen hatte, zumindest
für die Schulzeit. Mein Außen-seitertum aber, das ich
schon in den polnischen Schulen eitel und für viele un-terhaltsam
ausgelebt habe, setzte sich an diesem westdeutschen Gymnasium fort.
Warum auch nicht? Ich wollte Schriftsteller werden. 1989 machte
ich dann Zivildienst - meine Verweigerung kreiste noch um den kalten
Krieg - ja, ja! Ich schrieb pathetisch der Kommission, ich könne
mir nicht vorstellen, auf meine Landsleute zu schießen. Ein
Jahr später war der Spuk vorbei, aber nicht im ehe-maligen
Jugoslawien. Nach dem Zivildienst in der Stiftung Waldheim bei Bre-men
fing ich an, Germanistik und Kulturgeschichte Osteuropas in der
Hanse-stadt zu studieren, selbstverständlich auf den Magisterabschluss
hinaus, da ich kein Lehrer werden wollte. Und diese Zeit war sehr
erfolgreich. Ich kam in Deutschland endlich an, begann zu publizieren,
zunächst in der Literaturzeit-schrift STINT in Bremen, und
knüpfte die ersten Kontakte zu der Literaturbran-che. Von 1990
bis 1995 war ich weiterhin in der Stiftung Waldheim beschäftigt,
von 1995 bis 1997 arbeitslos, danach freier Schriftsteller. Eine
Bilderbuchkarrie-re? Wenn ich nur daran denke, was die Regimekommunisten
dem 15-jährigen Artur Becker angetan haben, als er ein Jahr
lang auf seine Ausreise in die BRD wartete, ohne Eltern und Geld,
werde ich ganz nüchtern. Und der Schritt in die deutsche Literatur
- von ihrer Sprache und ihren Autoren akzeptiert zu werden -, hat
mich so manche schlaflose Nacht gekostet. Ein Renegat aus Ermland
und Masuren (Polen und Ostpreußen) wird deutscher Autor ...
Oder ein preußischer Offizier? Über die Konsequenzen
des Ganzen werde ich mir wohl nie im Klaren sein. In diesem Sinne!
Und noch ist Polen nicht verloren, geschweige denn Deutschland.
Schön, das mir das Literarische Colloquium andauernd bestätigt,
das ich dazu gehöre und deutscher Autor bin! Das ist wohl nicht
nur das große Herz, das dieses Colloquium für seine Autoren
hat, und auch seine Angestellten. Dafür besten Dank!
M.
S. : Zu "Kino Muza": Antek mag einiges an den Deutschen
nicht (An einer Stelle sagt er spöttisch, die einzigen Worte,
die man kennen müsse, seien Antrag und Angelegenheit), aber
auch die Szene, wie die polnischen Frauen Ihre besoffenen Männer
abholen, sei "wie im Horrorfilm." Auch Sie sagten, Sie
brauchen als deutscher Schriftsteller das "Polnische"
gegen die deutsche Nüchternheit:
2. Sehen Sie sich mehr als Pole, mehr als Deutscher, dazwischen
oder ist Ihnen die Frage danach unwichtig?
A.
B. : Die Rezensenten und einige Literaturveranstalter sagen, ich
schreibe über Grenzgänger. Keine schlechte Vorstellung.
Nach 1989 ist Europa noch nie so vereinigt gewesen wie heute, und
trotzdem ist dieses Europa immer noch ein sehr zerrissenes Gebiet.
Der Film "Lichter" des Regieusers Hans-Christian Schmid
erzählt die Geschichte dieser Zerrissenheit und des Grenzgängertums
(ein Neologismus meinerseits). Deswegen kann ich nur das sein, wozu
man mich macht und wozu ich selbst bereit bin, mir und anderen etwas
einzugeste-hen. Und darüber, was es mit mir sein könnte,
bin ich auch bereit zu diskutieren. "Ich bin ..." - vor
diesem Satz bekomme ich keine Angst mehr, aber der Re-spekt sitzt
immer noch tief. Neulich im LCB hat mich eine Berliner Autorin aus
meiner Generation gefragt: "Und wer sind Sie?" Ich habe
gesagt: "Ich bin Artur Becker und wohne hier." Ist das
eine gute Antwort? Auf jeden Fall bin ich deutschsprachiger Schriftsteller,
und um es mit den Worten von meinem Landsmann Marcel Reich-Ranicki
auszudrücken: "Meine Heimat ist die deut-sche Literatur",
natürlich neben der polnischen (das hätte er, glaube ich,
auch mal sagen können ...). Antek Haack ist in "Kino Muza"
eine Romanfigur. Seine Probleme müssen nicht unbedingt die
des Autors sein. Sie müssen aber Liebe und Hass des Autors
sein, sonst wäre ja kein Buch über diese sehr spezielle
Fi-gur möglich gewesen. Sie verstehen. Hermeneutik - was ist
das?
M.
S. : Ihr Roman beinhaltet viele Aspekte: Heimat, die 80er Jahre,
Liebe, Sex, er hat auch ein bisschen was von einem Kriminal- oder
Agentenroman:
3. Wenn Sie "Kino Muza" ein Etikett aufkleben müssten,
welches wäre das?
A.
B. :Roman. Oder die Geschichte eines Selbstmords.
Aber lesen Sie bitte noch einmal das Motto von Czeslaw Milosz:
"Was groß war, hat sich als klein erwiesen. Reiche verblassten
wie verschneites Kupfer."
M.
S. : Zu Ihrem Beruf als Schriftsteller: Auf Ihrer Homepage werden
einige Ihrer Preise, Stipendien und auch Kritiken Ihrer Bücher
gezeigt:
4. Wie wichtig sind Ihnen Preise und Kritiken? Wie gehen Sie mit
schlechten Kritiken um?
A.
B. : Kritiken, auch schlechte, sind enorm wichtig. Sie helfen, die
Bücher zu verkaufen. Preise, auch schlechte, ebenfalls. Hier
reden wir von einer Symbiose: zwischen Verlag, Rezensent, Juror,
Literaturwissenschaftler, Buchhändler, Vertreter der Verlage
usw. - und dem Autor.
M.
S. : Zu einem Vergleich zwischen Ihnen und Lenz sagten Sie: "Was
habe ich mit Lenz zu tun?":
5. Haben Sie den Vorbilder? Wenn ja, welche?
A.
B. : Vorbilder nicht unbedingt, aber ich kann ein paar für
mich wichtige Namen nennen: Johannes Bobrowski, Ernst Wiechert,
Siegfried Lenz (mit dem ich befreundet bin, wenn man das so sagen
darf, hier und jetzt), Hans Joachim Schädlich und Wolfgang
Hilbig, beide mir auch bekannt - in dieser deutschen Literatur fühle
ich mich sehr zu Hause, besonders bei den Erzählern. Meine
Lyrik ist schon sehr, zumindest in meiner Schule und Vorstellung,
an Osteuropa gebunden. Diese Nabelschnur werde ich wohl nie kappen
können. Ein deutscher Erzähler, ein polnischer Lyriker?
Hm ...
M.
S. : Sie haben Erzählungen und Romane, aber auch Gedichte geschrieben:
6. Als was fühlen Sie sich stärker/wohler/besser? Als
Prosa-Autor oder als Lyriker?
A.
B. : Der neue Gedichtband, betitelt "Erdlinge", ist fertig,
nach 4 Jahren. Mit den Ge-dichten geht es nicht so schnell, es sei
denn man heißt Durs Grünbein - seine intellektuelle und
kulturgeschichtliche Dichtung, die mich sehr an manchen Gang durch
die Geschichte Europas in den Texten von Milosz oder Brodski er-innert,
ist mir sehr nah, nicht nur ästhetisch. Ich bin in erster Linie
Prosaautor, in traditionellem oder modernem Stil?, ich weiß
es nicht - meine Lyrikseite ist aber genauso stark, hier in Deutschland
noch kaum bekannt. Das ist ein Kurio-sum, da ich aber von Jahr zu
Jahr größer werde, auch im Gesicht, wird sich nun diese
andere Büchse der Pandora öffnen. Sic!
M.
S. : Zur "Literatour Nord":
7. Was bedeutet Ihnen diese Lesereihe? Was ist Ihnen dabei wichtig?
Dass Sie das Publikum erreichen, eine eventuelle Erhöhung Ihres
Bekanntheitsgrades, das Preisgeld von 15.000 Euro oder etwas ganz
anderes?
A.
B. : Die Einladung zu dieser Lesereihe mit meinem bescheidenen Roman
ist für mich eine Auszeichnung. Das Preisgeld ist schön,
doch ich schreibe nicht des-halb, weil ich Geld auf dem Konto sehen
will. Im Laufe der Jahre hat es sich so ergeben, dass ich mit Literatur
Geld verdienen kann, was zum Leben ausreichen muss. Ich danke der
großen Unterstützung, die ich von meinem Verlag Hoff-mann
und Campe in Hamburg erfahre. Auch den vielen Förderern und
Stiftun-gen. Ein leidiges Thema, dieses Geld, das vieles kaputtmachen
kann, z.B. die Gesundheit eines Autors. Das Publikum wiederum ist
immer am wichtigsten, weil der Schriftsteller für sein Publikum
schreibt. An diesen ganzen therapeuti-schen Unsinn glaube ich nur
bedingt. Selbsterkenntnis JA, Therapie NEIN oder SELTEN. Schließlich
ist Literatur Kunst. Oder anders gesagt, mit optimistischen Worten
von Brecht und in der alten Rechtschreibung: "In der Kunst
genießen die Menschen das Leben. Genuß bietet eine Stärkung
des Lebenswillens."
Das ist das Grausame, dass Bücher leider den Autor nicht gänzlich
oder kaum heilen können. Doch weil dieser Zustand so kompliziert
ist, wird immer wieder ein neues Werk angefertigt. Auf der Suche
nach ... - jeder hat sein Pferd. Jeder möchte ein anderes Krokodil
werden. Ein anderer Engel. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
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