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Rheinische Post vom 28.9.2010
Artur Beckers große Sehnsucht nach Masuren
Von Mathias Schnitzler
In Bartoszyce (Bartenstein) wurde er 1968 geboren und verbrachte dort seine Jugend. Das Leben in der masurischen Provinz – im kommunistisch- katholischen Polen – hat ihn und sein Schreiben geprägt . Mitte der Achtzigerjahre verließ er seine polnische Heimat, ohne die es den Schriftsteller Artur Becker, wie wir ihn kennen, nicht gäbe. Doch mittlerweile spielt Deutschland, die neue Heimat, in seinem literarischen Kosmos eine ebenso wichtige Rolle. Der Autor schreibt seit seinem Debüt 1997 auf Deutsch und erhielt im vergangenen Jahr dafür auch den Chamisso -Preis. Der wird vergeben an Autoren, »die in deut scher Sprache schreiben, deren Muttersprache oder kulturelle Herkunft aber nicht die deutsche ist«. Man könnte auch sagen: an Migranten. Wer mit Becker über Integration spricht und seine Bücher liest, merkt schnell, dass man das Thema auch auf einem geistreicheren Niveau diskutieren kann, als es zurzeit sehr oft geschieht. Erst im prosaischen Deutschland konnte die Sehnsucht nach Polen, vor allem nach den Masuren, so überwältigend werden, wie wir ihr in Beckers Büchern begegnen: Sehnsucht nach den Menschen und ihrem Humor, nach der großartigen Natur und der Poesie, die dort, nicht an den großen Seen, wo sich Warschauer und Deutsche tummeln, sondern in der Provinz, gleichsam in der Luft zu liegen scheint. Auf Polnisch wären Beckers Romane und Erzählungen vielleicht kitschig geraten. Die Zweitsprache Deutsch schafft dagegen Distanz und weist immer wieder Unebenheiten, Brüche auf, die bisweilen etwas holprig wirken, die man aber auch als Beckers ganz spezielle deutsch-polnische Poetologie schätzen kann. »Der Lippenstift meiner Mutter« spielt im Polen der Achtzigerjahre, natürlich in den Masuren, genau er gesagt in Dolina Roz / Rosenthal. Wie immer treffen wir auf ein Personal aus Glücksrittern und schrägen Vögeln. Außerdem fallen die vielen Tanten und Großeltern auf, die in polnischen Familien eine tragende Rolle spielen. Der 15-jährige Bartek, verschossen in eine geradezu göttliche Geliebte, und seine Clique planen eine antikommunistische Revolution – wenn da nur nicht Frau Natalia wäre, die dichtende Stalinistin, oder Schtschurek, der rattengesichtige Sohn des Totengräbers und Erzfeind Barteks. Von der Miliz ganz zu schweigen. Als Opa Franzose nach Jahren wieder in der Kleinstadt auftaucht und sein Lebenswandel die katholische Moral stört, geht das Abenteuer erst richtig los.
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