|
NDR
Kultur vom 19.11.03
"Kino
Muza"
Von
Sabine Berking
Einst hieß Bartoszyce Bartenstein. Das ist lange her. Nicht
ganz so lange ist es her, dass Arnold Haack Antek Haack hieß.
Als der 20jährige Deutschpole Anfang der 80er Jahre mit knapp
20 im Durchgangslager Friedland ankam, verpasste man ihm nämlich
den Namen Arnold. Einmalig und kostenlos, wie die Beamtin betonte.
Bleiben wollte er nie. Antek liebt seine ostpreußisch-polnisch-masurische
Provinz an der russischen Grenze. Glasklare Seen, ein weiter Himmel,
Freunde. Selbst die Tatsache, dass er dort unschuldig ein Jahr im
Knast verbracht hat, weil er angeblich eine Russin im Suff erstochen
habe, kann ihm seine Masuren nicht vergällen. Deutschland dagegen
ist wie Sodbrennen. Geld verdienen kann man aber nur in Deutschland.
Und so pendelt Antek alias Arnold jahrelang zwischen Bremen, wo
er als Altenpfleger und Gelegenheitsklempner arbeitet, und Bartoszyce,
wo er im Kino Muza die Karten abreißt, hin und her.
Ein Toter und ein mysteriöser Unfall
Mit den Heimaten ist es wie mit den Frauen: Antek kann sich nicht
entscheiden zwischen der reichen Erbin Lucie aus Bremen und seiner
großen Liebe, der jungen verheirateten Beata aus Blankiwerder,
einer Insel im Blankisee bei Bartoczyce. Und dann hat Antek noch
diesen Traum: Er will das Kino Muza zusammen mit einem Freund kaufen,
um endlich die Filme zu zeigen, die er mag. Im sozialistischen Polen
der 80er Jahre geht das nicht ohne die einschlägigen Organe
- Partei, Bezirksverwaltung und eben auch die Staatssicherheit.
Fast hätte alles geklappt. Doch dann passieren mysteriöse
Dinge. Beatas Mann ertrinkt im Blankisee, Antek hat einen Unfall
und alles hartverdiente Geld für das Kino Muza wird geraubt,
und schließlich ist er auf der Flucht - vor der Staatssicherheit,
den Frauen und irgendwie auch vor sich selbst. Am Ende kommt alles
anders als geplant: Die polnische Staatssicherheit blieb nicht ewig
an der Macht, doch Antek Haack war eben auch nicht Clint Eastwood,
der überall überleben kann.
No Happy End!
Artur Becker wurde 1968 in Bartoszyce geboren, seit 1985 lebt er
in Deutschland, zwei Romane, einen Band mit Erzählungen und
zwei mit Gedichten hat er bisher veröffentlicht. Sie alle haben
ein großes Thema: Das Leben zwischen Nostalgie und Realität
im Niemandsland zwischen zwei Heimaten. Doch wer, so sinniert Antek,
kann heute schon mit hundertprozentiger Sicherheit von sich behaupten,
dass er weiß, wer er ist.
©
Sabine Berking
|