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Die Milchstraße

Deutsche Welle vom 23.12.03

Buchtipp -
Artur Becker: "Kino Muza"

Von Ulrich Noller

Antek Haack, so heißt der Held in Artur Beckers neuem Roman. Ein Mann von Mitte dreißig, der im Polen der Vorwendezeit eine Art Bohemeleben führt: Er arbeitet im "Kino Muza" seiner Heimatstadt als Kartenabreißer, hat eine Geliebte in Polen, und eine in Deutschland, wo er sich für einige Monate im Jahr als Anstreicher verdingt. Ein leichtes und unverbindliches Leben also, das so weitergehen könnte. Aber das gibt es bekanntlich nicht einmal im Film.

Wie Antek mit den Umständen ins Gehege kommt, nach Deutschland übersiedelt - und da erkennen muss, dass man vor sich selbst auf Dauer nicht fliehen kann, davon erzählt Artur Beckers Roman. Der Autor selbst ist in den Achtzigern von Polen nach Deutschland übergesiedelt. Ein Deutschland, das in seinen Geschichten bisher erstaunlich wenig Handlungsraum einnimmt.

"Das hängt damit zusammen, dass solch einer, wie ich einer bin, eine sehr komplizierte Biographie hat, natürlich unheimlich viel Zeit braucht, um sich von bestimmten Geschichten zu lösen. Mein Start, der war ganz anders als bei "normalen" deutschsprachigen Autoren, die sofort mit ihren deutschen Geschichten loslegen konnten. Das konnte ich ja gar nicht. Außerdem ist das ein Repertoire, das immer da sein wird. (...) Da kann ich mich querstellen oder machen, was ich will. Das wird sich nie ändern."

Die magische Landschaft Masurens
Wie der Einzelne von der Ideologie, vom Staat, von den Umständen bestimmt und gegängelt wird, das ist das Thema von Artur Beckers Roman. In vielen kleinen Geschichten und Anekdoten erzählt "Kino Muza" dabei vor allem vom alltäglichen Leben und Über-Leben in den wunderlich-abseitigen Landschaften Masurens. Artur Becker schreibt realistisch im Sinne eines Chronisten: Die meisten seiner Geschichten haben einen wahren Kern; viele seiner Charaktere sind Hommage an tatsächliche Vorbilder.

"Rein literarisch-philosophisch kämpfe ich gegen die für mich äußerst verrückte Vorstellung (..) dass es den Tod gibt und danach nichts mehr. Diese existenzielle Vorstellung passt mir überhaupt nicht. (..) Und deswegen eine Hommage an diese Menschen. Nicht um sie zu retten, sondern um zu sagen: Sie leben weiter, auch wenn nur in meinen Geschichten."

Die magische Landschaft Masurens ist ein zentrales Moment in diesen Geschichten. In dieser Landschaft herrsche auch heute noch ein ganz anderes Zeitgefühl, sagt Artur Becker schwärmerisch. Nicht nur literarisch, auch persönlich scheint dieser Schriftsteller seine Heimat nicht komplett verlassen zu haben. Als Teenager, der fest davon überzeugt war, einmal ein großer polnischer Schriftsteller zu werden, wanderte er von Polen nach Deutschland aus; ein einschneidender Schritt.

"Das macht man vielleicht einmal, aber danach kein einziges Mal mehr. Die Sprache zu wechseln, ist im Grunde genommen - man amputiert selber, bei sich etwas. Das darf man im Grund genommen nicht machen, man muss in seiner Muttersprache schreiben. Ich hatte keine Wahl."

Sprach- und Gattungswechsel
Artur Becker hatte keine Wahl, aber er machte aus der Not eine Tugend: Er lernte schnell und gründlich Deutsch; entschied sich ganz bewusst dazu, fortan ein deutschsprachiger Schriftsteller zu sein. Denn daran, dereinst als Autor leben zu wollen, hielt Becker trotz aller Probleme auch in dieser Lebensphase fest. In seinem Fall, wie sich heute zeigt, kein juveniler Enthusiasmus, sondern ein Erfolgskonzept. Artur Becker gilt als einer der begabtesten Vertreter der Migrantenliteratur; drei Gedichtbände, ein Buch mit Erzählungen und drei Romane hat er in den letzten sechs Jahren veröffentlicht. Im Deutschen ist der 35-Jährige also längst richtig angekommen.

"Was hat, im Grunde genommen, diese neue deutsche Sprache, meine zweite Muttersprache, was hat sie bei mir bewirkt: Sie hat mich unheimlich nüchtern gemacht, auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite vollkommen besoffen, weil ich so abhängig von ihr geworden bin."

Artur Becker ist heute ein deutscher Schriftsteller mit polnischen Wurzeln. Deutsch, so erzählt Becker, sei seine Sprache und eine gewisse Betonung des Eigenbrötlerischen. Polnisch beziehungsweise slawisch sei dagegen so eine bestimmte Leichtigkeit, für die man seine Erzählungen ja auch immer wieder rühme und mit Preisen auszeichne. - Allerdings wäre daraus beinahe nichts geworden. Denn das ist die erstaunlichste Folge von Artur Beckers Sprachwechsel: Erst durch die Auseinandersetzung mit dem Deutschen fand Becker, der sich eigentlich als Lyriker hatte profilieren wollen, zu der Form, in der seine Sprache und seine Erinnerung sich perfekt ergänzen: Zur Epik, zum Geschichtenerzählen.

© Ulrich Noller

 

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