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Die Milchstraße

Main-Echo vom 12. September 2003

Polnisch-deutsche Apokalypse

Artur Becker präsentiert in Darmstadt seinen neuen Roman "Kino Muza"

Von Renate Englert

Seine Geschichten findet Artur Becker auf der Straße. Zum Bei-spiel in Bremen, wo er jetzt lebt, oder in Bartoszyce (früher Bar-tenstein in Ostpreußen), wo der Autor 1968 geboren wurde. Schon als Kind sei er davon fasziniert gewesen, wie geschichten-reich der Alltag ist. Diese Begeisterung hat er sich offenbar be-wahrt und lässt sich von ihr auch während einer Lesung im Darmstädter Jagdschloss Kranichstein im Rahmen der Reihe "Die Mitte liegt ostwärts" anstecken: Die Wangen der Moderatorin Ruth Fühner bringen ihn fast aus dem Konzept, weil sie ihn an die seiner Großmutter erinnern. "Ihre deutschen Backen wirkten nach über vierzig Jahren des Lebens im sozialistischen Polen immer noch befremdend und exotisch - als hätte man ihr die Wangen-knochen herausoperiert und Silikonpolster eingenäht", heißt es im Text. Und schon ist eine neue Geschichte geboren, denn die Großmutter der Moderatorin stammt ebenfalls aus Ostpreußen.
In seinem neuen Roman "Kino Muza" (Kino Muse), der den Ab-schluss einer Trilogie bildet, steht die Geschichte von Antek Haack im Mittelpunkt. Er kam - wie Artur Becker - in Bartoszyce zur Welt und emigrierte 1988 nach Deutschland. Aber von wegen "Golden-er Westen". "Deutschland war wie Sodbrennen", fängt der Ro-man an. Die ersten Eckpunkte in Anteks neuem Leben sind das Grenzdurchgangslager Friedland, die Eindeutschung des Vor-namens in Arnold und die Frage "Was sind Sie von Beruf?" Zu Hause war Antek Kartenabreißer im Kino Muza. Die Filme, die er gesehen hat, vermischt er mit seinem Alltag: "Apocalypse now" in Saigon paart er mit dem Weltuntergang in der nordostpolni-schen Provinz.
Bei der Lesung in Darmstadt, der allerersten aus dem neuen Buch, legt Becker seinen Fokus auf die Szenen, die in Polen spie-len. Deutschland sei den meisten Zuhörern ja ohnehin vertrauter, so der Autor, der keinen Hehl daraus macht, dass seine Kenntnis der deutschen wie auch der polnischen Mentalität sein Kapital ist. Wie ein Fisch, der sich in zwei Aquarien bewege, fühle er sich, und er werde einen Teufel tun, das Wasser zusammenzuschüt-ten. Schreiben ist für ihn Identitätsfindung und -bewahrung, und sein Bedauern, nicht wie Michel Houellebecq über den jüngsten Urlaub auf Ko Samui schreiben zu können, nimmt man ihm nicht wirklich ab.

© Renate Englert

 

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