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Presse Rheinpfalz, 20. November 2007

Über Rocker, Autos und Nationalgefühl

Von Gereon Hoffmann

»Sie haben einen hässlichen Hauptbahnhof, das hat mich an meine Zeit im Sozialismus erinnert«, sagte Artur Becker vor seiner Lesung im Café Laul in Ludwigshafen. Der polnisch-deutsche Autor stellte seinen Roman »Das Herz von Chopin« vor. Darin geht es nicht um den Musiker, sondern um einen Autohändler gleichen Namens. Mit der Lesung wurde die neue Staffel der Autorenreihe »Europa/Morgen/Land« eröffnet.

Der Roman erzählt die Geschichte eines Mannes, der aus dem ostpolnischen Bartoszye stammt. Der Ort ist wohl nicht zufällig gewählt, dort wurde auch der Autor 1968 geboren. Chopin ist ein junger Mann, dem seine Heimat zu klein und zu beschränkt wird. Er trägt lange Haare und hört Rockmusik. Nach einer Schlägerei zwischen Punkern und Rockern, auf die sich der Protagonist nur allzu gerne einlässt, stehen ihm die Haare spektakulär zu Berge. »Du siehst so stinkegeil aus, wie der Chopin nach seinen Konzerten«, rief einer seiner Kumpels, und fortan blieb der Name des Musikers an ihm kleben.

In seinem polnischen Dorf leben die Menschen zwischen »ewiger Nacht und roter Fahne«, zwischen Katholizismus und Kommunismus. Junge Männer werden entweder Alkoholiker oder sterben früh. Chopin beschließt, sich in den Westen abzusetzen und dort ein besserer Mensch zu werden. Alain Delon als der eiskalte Engel ist sein Vorbild. 1983 reist er aus Polen aus - der Autor Artur Becker lebt seit 1985 in Deutschland.

Natürlich musste sich der Autor fragen lassen, wie viel Autobiographisches denn in dem Roman stecke. »Nun, ich verkaufe keine Autos«, entgegnete Becker schmunzelnd. Chopin, der polnische Emigrant, wird nämlich Autohändler. Polen und Autos, das ist in Deutschland Stoff für unzählige Witze. Becker spielt mit solchen Klischees ganz bewusst. So ziemlich jedes Vorurteil über Polen greift der Autor auf. Aber nicht nur die Migranten, auch die Deutschen bekommen ihr Fett weg. Der gewiefte Autohändler mit Akzent gibt sich vor deutschen Rentnern als Ostpreuße aus, den jüngeren Kunden stellt er sich als deutsch-russisch-polnisch-jüdisch vor.

Die Herkunft des Helden aus einfachen Verhältnissen, seine Wanderschaft, sein gesellschaftlicher Aufstieg durch Menschenkenntnis und Gerissenheit, das ist typischer Stoff für einen Schelmenroman. Trotz mannigfaltiger Verwicklungen gibt es, so viel hat Becker im Café Laul noch verraten, ein Happy End.

Hinter dem Schelmenroman steckt eine Auseinandersetzung mit der polnischen Romantik und dem Selbstverständnis der Nation. Becker beobachtet sein Herkunftsland mit wachem Blick. »Für die Polen ist es wichtig, ernstgenommen zu werden«, erklärt er. Noch immer leide das Land, das in seiner Geschichte mehrfach unter benachbarten Großmächten aufgeteilt wurde, unter einem zerbrechlichen Selbstwertgefühl. »Diese Ängste haben die rechtskonservativen und nationalistischen Kräfte und die Kczynski-Brüder aufgegriffen. Die versteckte Message«, sagte Becker, »ist der Zusammenhang, der Weg von der Romantik zum Nationalismus zum Kommunismus und Faschismus.«

Betrachtet man den Roman als Untersuchung einer polnischen Identität, erklärt sich auch die tiefere Bedeutung des Spitznamens »Chopin«: Der namensgebende Musiker, der in Paris starb, hatte den Wunsch, dass sein Herz in Warschau begraben werde.

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