Home
Prosa
Lyrik
Presse
Links
Varia
Galerie
Vita
Kontakt

Ö1-ORF.at, 18. Februar 2007

Das Herz von Chopin.
Ost trifft auf West

Von Barbara Denscher

Mit dem Komponisten Frédéric Chopin verbindet den Titelhelden in Artur Beckers neuem Roman – zumindest auf den ersten Blick – nur sehr wenig: Zwar stammt auch er (so wie der berühmte Namensvetter) aus Polen, aber Beckers Chopin ist ein Autohändler und eigentlich ist Chopin nur sein Spitzname, den er sich als 15-jähriger Rockfan bei einer Schlägerei gegen eine Gruppe von Punks eingehandelt hat.

Ich gewann den Kampf und trug nicht einmal ein blaues Auge davon. Dafür standen mir die Haare zu Berge, als hätte ich einen Stromschlag gekriegt. Ich drohte unter meiner elektrischen Frisur zu verbrennen, doch erntete ich großen Applaus, und aus der Menge rief mir mein Kumpel Andrzej auf vollem Hals zu: "Hey! Du siehst so stinkegeil aus wie der Chopin nach seinen Konzerten!" So kam ich zu meinem Spitznamen und selbst meine Eltern nannten mich Chopin.

Die »Freiheit« des Westens

Um dem Militärdienst im kommunistischen Polen zu entgehen, hatte sich Chopin Mitte der 1980er Jahre nach Deutschland abgesetzt. Er begann zu studieren und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch – bis er von zwei Bekannten das Angebot erhielt, in deren Gebrauchtwagenhandel einzusteigen. Nun endlich, so jubelt er, sei er "in der Freiheit" angekommen und werde an das große Geld kommen, das man – wie er in seiner Heimat stets gehört hatte – im Westen so leicht verdienen kann.

Chopin ist zunächst sehr erfolgreich – vor allem weil er mit dem ständig größer werdenden Kundenkreis aus den ehemaligen Oststaaten richtig umzugehen versteht. Damit macht er sich, wie er glaubt, für seine beiden Kompagnons unentbehrlich, hält sich für einen ebenbürtigen Partner und merkt erst, als es beinahe zu spät ist und er sein kleines, neu verdientes Vermögen fast schon wieder verloren hat, dass er von den beiden übervorteilt wird.

Ein Schelmenroman erster Güte

Dennoch kommt es zum Happy-End, an dem Chopin auch seine große Liebe findet. Auf dem Weg dorthin aber gibt es viele Turbulenzen und auch reichlich Klamauk. Artur Becker setzt dabei stark auf die Zugkraft populärer Klischees: Ost trifft auf West, der naive, gutgläubige Immigrant auf kaltblütig berechnende Geschäftemacher. Die Kunden aus Deutschland bestehen auf exakten Verträgen, während jene aus dem Osten für einen fachgerecht zurückgedrehten Tacho gerne auf eine Fahrgestellnummer verzichten und sich mit Wodka revanchieren. Bei Unzufriedenheit drohen die Westler mit Anzeige, die Ostler mit Mord.

Beckers Roman ist eine unterhaltsame, flott geschriebene, nicht allzu tief schürfende Lektüre. Das Werk steht eindeutig in der Tradition des Schelmenromans, mit einem Helden, der es immer wieder schafft, sich aus allen brenzligen Situationen herauszuretten und der nach einer Reihe von Abenteuern letztlich zu einer geläuterten Weltsicht gelangt.

Auf die emotionale Bedeutung, die die Heimat für jeden Immigranten hat, verweist auch der Titel des Buches, denn dieser bezieht sich doch nicht nur auf den Autohändler Chopin, sondern auch auf den gleichnamigen Komponisten. Dieser, geboren in der Nähe von Warschau, lebte ab seinem 21. Lebensjahr in Paris. Kurz vor seinem Tod verfügte er – offenbar in sentimentaler Erinnerung an seine Herkunft –, dass zwar seine Gebeine in Paris bestattet werden sollten – sein Herz aber in Polen.

 

[Aktuell] [Prosa] [Lyrik] [Presse] [Links] [Varia] [Galerie] [Vita] [Kontakt]

Copyright © 2017 Artur Becker
Alle Rechte vorbehalten. All Rights reserved