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Berliner Zeitung, 21.09.06

Angezündet im Osten.
In Artur Beckers Roman verkauft Chopin Autos in Bremen

Von Mathias Schnitzler

Kurz vor seinem Tod äußerte Fryderyk Franciszek Chopin einen außergewöhnlichen Wunsch. Als junger Mann von Polen nach Frankreich übergesiedelt, hatte Frédéric, wie man ihn fortan nannte, sein Herz nicht nur an die Schriftstellerin George Sand verloren. Es schlug auch vor Sehnsucht nach der Heimat, die er nie wieder sehen durfte. Dieses Herz, so verfügte der sterbenskranke Musiker nun, sollte den Weg zurückreisen, den er selbst zwanzig Jahre zuvor gekommen war. Während man den Komponisten und Pianisten im Oktober 1849 in Paris beerdigte, wurde Chopins Herz in der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau beigesetzt.
Damit sind die Hauptmotive genannt, die wir spätestens seit dem wunderbaren, tragikomischen Schelmenroman »Onkel Jimmy, die Indianer und ich« aus Artur Beckers Texten kennen.
Auch in seinem neuen Buch »Das Herz von Chopin« dreht sich alles um den Verlust der alten und das Leben in der neuen Heimat, um Fremdheit, Sehnsucht und die rettende Kraft der Liebe. Dabei führt der schöne Buchtitel zunächst in die Irre, denn erzählt wird hier nicht von dem berühmten Schöpfer poetisch-romantischer Kompositionen, sondern von einem modernen Emigranten gleichen Namens. Dieser Romanheld, der seinen Spitznamen erhielt, als er nach einer Schlägerei mit Warschauer Punks (und einer polnischen Redewendung) »aussah wie Chopin nach seinen Konzerten«, lebt als Gebrauchtwagenhändler in Bremen.
Aus Bartoszyce nach Deutschland gekommen hat Artur Beckers Wiedergänger und Antithese des historischen Chopin sein Vaterland aus dem Herzen verbannt – eine Ironisierung der polnischen Romantik. Er ist auf der Suche nach einer neuen Identität in der Fremde sowie nach seiner großen Liebe Maria, die ihn wegen seiner Geschäfte und Geldgier verlassen hat. Um die allein erziehende Deutsche samt ihrer Tochter wieder zu gewinnen, muss Chopin sich am Ende neu erfinden, ohne seine Wurzeln zu leugnen.
Artur Becker, wie sein Protagonist in den achtziger Jahren aus dem polnischen Ermland in die Hansestadt emigriert, besitzt einen deutschen Pass und schreibt in deutscher Sprache. Eine Sprache, die in den Szenen und Dialogen aus dem Autohändlermilieu und Bremer Nachtleben recht schnodderig daherkommt und manchmal an Sven Regners Lehmann-Romane erinnert, glücklicherweise jedoch in poetische Sphären aufsteigt, wenn der Autor die großen Fragen nach der Liebe und dem Tod, der Seele, dem Kosmos und der Religion berührt. Die osteuropäische Seele, also das Metaphysische in Beckers Texten sind nach seinen Worten eine Rettung gegen die bundesrepublikanische Nüchternheit, die allerdings dafür sorgt, dass Chopin zu einem (abgebrochenen) Studium, zu Job und Geld kommt.
Sprechende Weihnachtskarpfen und schlagende Katecheten, da die Kinder Gebete oder Liturgien falsch aufsagen; kommunistische Alltagsabsurditäten und schwarze Madonnen bevölkern die Erinnerungen des Erzählers an die polnische Vergangenheit. Dass diese poetisch beseelte Rückschau des Emigranten fesselnder ist als das wenig inspirierte Hauptgeschehen in Deutschland, überrascht nicht und ist dennoch bedauernswert – allein deshalb, weil der Großteil des Romans in der Bremer Gegenwart spielt.
Wie hatte doch der lachende Becker im Interview die alten Weisen zitiert? Das Licht, das im Osten angezündet wird, muss im Westen leuchten.

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