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Onkel Jimmy, die Indianer und ich

Bayerischer Rundfunk
Kultur Aktuell, 22.08.2001

Von Cornelia Zetzsche

Dieser Roman ist ein Schelmenstück. Ein Kabinett der Käuze: mit Onkel Jimmy, der aus allem dubiose Geschäfte macht, jeden Tag mit Spiritusaugen beendet und eine Fülle hanebüchener Lebensweisheiten anzubieten hat; mit Teofil, seinem Neffen, seinem Gedächtnis und Koffer-Kuli und Baby-Face, dem Navajo, der sie aufnimmt im fernen Canada; Bruchpiloten unterwegs ins Paradies zwischen Winnipeg und Masuren, Indianerland und See-Idyll, Hilfsjobs, Katastrophen, Schuldenbergen; immer auf der Flucht, feuchtfröhlich, verzweifelt, anarchisch. Dieser Roman spiegelt die heitere Melancholie seines Autors. Suche, Sehnsucht, Aufbruch ohne Ankunft zwischen Hier und Dort und Nirgendwo. Ein Entwicklungsroman, in dem sich Teofil von der liebenswerten Tyrannei des Onkels löst und auf eigne Füße stellt, entwurzelt zwar, entfremdet von der polnischen Heimat, aber doch mit der Chance auf Erlösung durch die Liebe und Musik – wie sein Autor.

Im Zusammenbruch der Systeme, im brüchigen Universum sucht Teofil, sucht sein Autor Artur Becker beim Schreiben Inseln des Halts: Erinnerungen, Menschen, Häuser, die erste Liebe auf diesem kleinen Stück Erde namens Masuren, in diesem Rothfließ, das heute Czerwonka heißt. Das ist kein Ostpreußen-Idyll wie bei Siegfried Lenz, nicht »So zärtlich wie Suleyken«. Es ist grundiert von einem Witz der Hoffnungslosigkeit und Trauer und erzählt auf heiterste Weise von Armut und Wendehälsen im postkommunistischen Polen, von Mafia-Geschäften und einem Land im Wartestand – auf die EU.

Was der Wirtschaft und Politik nicht gelingt, schafft die Literatur: eine Synthese von polnischer Herkunft, kanadischem Exil, deutschen Wahlort des Autors und drei Sprachen. Der Masure Artur Becker entdeckt die lange verbotenen deutschen Spuren seiner polnischen Geschichte, schreibt auf Deutsch, überträgt rhetorische Figuren aus dem Polnischen und gibt dem Deutschen einen ganz eigenen Klang. Und unnachahmlich komisch sind die englischen Konstruktionen seines Onkel Jimmy. K o m b e k , sagt er, und K a u b o j   und   L e t z   f e j s   i t – aber was?

»Es ist kurz nach zwanzig Uhr, und der Bahnhof ist stiller als eine zirpende Sommerwiese. Wir sitzen auf einer Bank und rauchen Zigaretten. Eine einzige Laterne brennt, es ist Altweibersommer, sie leuchtet über den Platz, auf dem die Busse halten. Sie leuchtet über den menschenleeren Bahnhof: ›Bleibt, wo ihr seid‹, höre ich es aus allen Ecken, aus den hintersten Winkeln, und in dieser Stille wage ich nicht, Onkel Jimmy zu fragen, worauf wir eigentlich warten.«

 

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