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Onkel Jimmy, die Indianer und ich

Badische Zeitung vom 8. November 2001

Jes! Aj em fri!

Artur Becker reist von Polen nach Kanada und zurück

Von Ulrich Rüdenauer

Wer hätte nicht gern einen reichen Onkel in Übersee? Einen, der es geschafft hat. Einen, der eines Tages zurückkehrt, die Taschen voller Geld und Geschenke. „Kugelschreiber mit dem Emblem der Canada Airlines International, Schwänchen aus Glas mit golden angemalten Schnäbelchen, aufklappbare Taschenspiegel für die Frauen und Schokolade, sorgfältig in Papierservietten gewickelt.“ So muss die große Welt aussehen. Zumindest für die Helden, die in Artur Beckers zweitem Roman „Onkel Jimmy, die Indianer und ich“ chaotisch durchs Leben poltern.

Nun ist nicht alles Gold, was so bezaubernd glänzt wie die Glasschwänchen mit ihren vergoldeten Schnäbelchen. Das gilt auch für die polnischen Kanada-Auswanderer Jimmy Koronko und Teofil Baker. Der enthusiastische Empfang der verlorenen Söhne in ihrer Heimatstadt Rothfließ fußt auf falschen Voraussetzungen: Jimmy und Teofil haben alles andere als Geld, stattdessen Probleme und Schulden. Aber der Reihe nach. „Meine alten Erinnerungen zu ordnen, Stunde für Stunde, Ort für Ort“, denkt der Ich-Er-zähler Teofil, „scheint mir noch wichtiger zu sein, und als Erstes denke ich daran, wie alles begann. Mit Agnes, Jimmy und mir.“

1984 ist für Jimmy in seiner masurischen Heimat kaum noch was zu holen. Seine einträglichen Gaunergeschäfte im kommunistischen Polen gehen nicht mehr recht, seine Frau hat das Türschloss ausgewechselt, der trinkfeste Hobby-Philosoph muss in den Fahrradkeller umziehen. Teofil, sein 16-jähri-ger Neffe, vergöttert Frank Zappa, möchte mit seiner Gitarre genauso berühmt werden und schließt sich dem Urteil seines Onkels an: Wer sein Glück machen will, muss Polen hinter sich lassen. Teofils erste große Liebe Agnes, die Tochter angesehener Parteifunktionäre, erweist sich dabei als treibende Kraft: „Wir wollten so schnell wie möglich zusammen sein, auch wenn wir dafür nach Amerika fliehen müssten.“

Agnes, Teofil und Jimmy brechen aus der polnischen Provinz auf nach Kanada. Es wäre waghalsig, die kleinen und größeren Abenteuer, die auf dem Weg dorthin und in den folgenden Jahren bewältigt werden, nachzuerzählen. Der 33-jährige Artur Becker, der bisher vornehmlich Lyrik veröffentlicht hat, macht das jedenfalls auf wundervolle Weise: in einem schnoddrig-einnehmenden Ton, knapp und prägnant. Das Chaos wird immer gerade noch in unprätentiöse erzählerische Bahnen gelenkt.

Der Zusammenstoß zweier Welten

Nicht unähnlich einem anderen zur Zeit gefeierten „Migrantenliteraten“, Wladimir Kaminer, schafft es der aus Masuren stammende Becker, episodenhaft den Zusammenstoß zweier Welten zu schildern. Staunend und voller Witz, ohne sie dabei zu denunzieren, lässt er seine Don-Quichotte-Figur Jimmy auf die Unbilden der modernen Welt treffen und philosophische Schätze notieren – oder durch einen Kehlkopfgenerator mit Darth-Vader-Stimme intonieren: „,So ’ne komplizierte Ingenieurstechnik wie den Bau einer Feuertreppe beherrschen wir in Rothfließ nicht. Wenn es bei uns brennt, müssen wir nach Amerika fliehen‘, sagte Jimmy.“

So baut Becker seinen Schelmenroman als Ansammlung von Kuriositäten auf: den Erlebnissen von Onkel Jimmy, der sich in der Neuen Welt nicht heimisch fühlen will, im Indianerreservat seelenverwandte Underdogs findet, seinen kanadischen Pass in der Lotterie gewinnt, mit Teofil die abgehalfterte Party-Band „Black is White“ gründet, die für emigrierte Polen die Samstagabende in der Fremde ein wenig vergnüglicher gestaltet und das „Schaubiss“ erobern will – und all das wird vermengt mit Liebesgeschichten und verkorksten Ausbruchsversuchen seines treuen Neffen. Der Roman entwickelt sich zeitweise zum abstrusen Road-Movie, zu einer zwischen Heiterkeit und Melancholie oszillierenden Spurensuche nach Lebensgeschichten, die im Strudel der großen Geschichte unterzugehen drohen.

Die Auswanderer erleben die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Die Komposition des Buches ist einfach, aber wirkungsvoll. Es beginnt mit einer Rückkehr in die Heimat, wo die Erinnerung an die vergangenen neun Jahre in Gang gesetzt wird, und kommt wieder in der erzählerischen Gegenwart an, dem Jahr 1993. Die Welt hat sich fast über Nacht gewandelt, der Sozialismus ist zusammengebrochen, die Zeiten haben sich geändert. Für Jimmy und Teofil aber sind sie –zumindest was Rothfließ betrifft – stehen geblieben. Also zurück in die Heimat, denn der Onkel hält es in der Neuen Welt nicht mehr aus: Das Glücksversprechen – „Jes! Aj em fri!“ – endet für ihn im finanziellen Desaster, für Teofil in einer neuen Liebe und für die beiden ungleichen Genossen in einer Erholungsreise hinein in die Vergangenheit.

Heimat und Fremde – die Pole liegen weit auseinander, die Erfahrungen fließen zusammen. „Manchmal dachte ich, wir wären gar nicht nach Amerika ausgewandert, wir würden weiterhin in Rothfließ leben, in der Kopernikusstraße.“ Es ist eine die Wahrnehmungen verzerrende Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, in der sich die Auswanderer einrichten müssen. Sie leben bewusstseinsmäßig noch in einer anderen Epoche und einem Land, das sie geografisch längst verlassen haben. So legen sich verschiedene Schichten übereinander – erzählerische, gedankliche, sprachliche.

Nicht zuletzt deshalb konnte man in den vergangenen Jahren vor allem an den „Rändern“, jenen sprachlichen Orten, die hybrid sind, amorph, undefinierbar, einige der fruchtbareren literarischen Entdeckungen machen. Hier schärft sich der Blick, auch der des Lesers, für Details. Artur Becker gehört mit Kaminer oder Terézia Mora in eine Reihe von Autoren, die mit effektvoll-einfachen Mitteln einen enormen kulturellen Assoziationsraum mittransportieren. In den Geschichten, die uns in „Onkel Jimmy, die Indianer und ich“ erzählt werden, schwingt ein offener Blick auf die Welt mit, der nicht sentimental, kaum nostalgisch und nur selten folkloristisch ist. Der Autor spricht von den Hoffnungen und Desillusionierungen seiner Figuren, mitfühlend und mitreißend, in größtmöglicher Distanz zum Kitsch, der sich leicht einschleichen könnte. Von ihren Verrücktheiten und Illusionen lebt sein Buch: „Im Großen und Ganzen waren alles, was Jimmy besaß, Träume, die er in einem fort in die Welt setzte.“

© Ulrich Rüdenauer

          

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