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Die Zeit, vom 2. Oktober 2002 , Sonderbeilage, Frankfurter Buchmesse
Suppe des Lebens
Artur Beckers amüsantes Provinztheater aus den polnischen Grenzgebieten
Von Sebastian Domsch
Der Pole besäuft sich mit Wodka, den er direkt aus einem Eimer schöpft, danach schlägt er seine Frau oder sie ihn. Vor allem ist er faul
und auf der Suche nach leicht verdientem Geld. Davon erzählt Artur Beckers neuer Erzählband Die Milchstraße, der allem äußeren Anschein zum Trotz ein gutes Buch ist.
Onkel Jimmy beispielweise ist ein
Prachtexemplar aller eben beschriebenen Nationalklischees. Onkel Jimmy ist nicht nur faul, verfressen und versoffen, er ist auch auf großartige Weise größenwahnsinnig. Nach einem Auswanderungsversuch, der das
sibirisch kalte Winnipeg in Kanada zum Ziel hatte und bei dem Jimmy hoch verschuldet im Slum des Indianerviertels endete, kehrt er mit seinem Neffen Teofil zurück in die polnische Heimat, wohl wissend, dass ihn dort
auch nur das Nudelholz der Exfrau und der Zorn einst geprellter Verwandter erwarten werden. Doch sein irrwitziges Schelmengemüt lässt sich nicht erschüttern. Er lebt seinen ständigen Untergang mit der Gelassenheit
eines indischen Fakirs.
Das Schicksal macht es Beckers Figuren nicht leicht, doch resignativen Fatalismus findet man bei ihnen nicht. Sie sind glückliche Taugenichtse, unverstanden von der
Leistungsgesellschaft, aber Helden in Beckers Provinztheater, komisch und ignorant, uninteressiert an Politik und Geschichte. Zwang von Staat, Familie und Arbeit macht den Menschen das Leben eng, doch das polnische
Land ist weit, selbst im Grenzgebiet zur Sowjetunion, wo die meisten Geschichten spielen.
Artur Becker, 1968 in Masuren geboren, lebt seit 1985 in Deutschland. Fast immer macht er sich diese Doppelperspektive
zwischen Ost und West zunutze. Die Goldgräberstimmung des go west, die Nostalgie der guten alten Zeiten, die Menschenfeindlichkeit des Kapitalismus, all das gibt es in Beckers Büchern, doch auf so
unprätentiöse Weise, dass nichts davon zählt.
© Sebastian Domsch
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