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Onkel Jimmy, die Indianer und ich

Deutsche Welle, 13.11.01

„... vom masurischen Regen
in die kanadische Traufe ...“

Von Martin Sander

Als „Genre-Roman“ etikettierten die Juroren auf den diesjährigen „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt den Text von Artur Becker – knapp und ablehnend. Becker, 1968 in Masuren geboren, seit 1985 in Deutschland ansässig, ist als Lyriker und Erzähler bereits mehrfach ausgezeichnet worden. Doch „Onkel Jimmy, die Indianer und ich“, Beckers neuer Roman, kam den Klagenfurter Kunstrichtern wohl zu anspruchslos daher. Tatsächlich wird der Leser nach aufwendigen Metaphern für den Weltenwandel ebenso vergeblich suchen wie nach einer hochfahrenden Deutung europäischer Wendezeiten.

Doch genau darin liegt ja der Reiz des Unternehmens. Artur Becker, genauer: der ihm verwandte Ich-Erzähler Teofil Baker, vernichtet mit dem ihm eigenen lakonisch-schnoddrigen Grundton jeden Anflug von ästhetischem oder politischem Pathos.

„Was war ich bloß für ein missratener Erdling, der gelegentlich hier und da für einen Hunderter klimperte und sich dabei wie ein Profi vorkam? Was hatten die anderen, was ich nicht hatte? Intelligenz? Begabung? Beziehungen? Gottessegen? Oder einfach Biss? Ich tippte auf das letztere. Mir fehlte der Biss, ganz bestimmt. Der Scheiß Biss und ein bisschen Interesse für unsere Möbelhäuser, Autohäuser, Bekleidungshäuser, Einfamilienhäuser, Schlachthäuser, vielleicht sogar für Krankenhäuser und Totenhäuser.“

Statt im masurischen Czerwonka (vormals: Rothfließ) Schlachter zu lernen, verlässt der junge Teofil Mitte der achtziger Jahre Polen und wandert nach Kanada aus. Gemeinsam mit ihm machen sich Onkel Jimmy und Teofils Freundin Agnes auf die Suche nach dem großen Glück. Agnes ist eine ehrgeizige, attraktive Frau, die sich als fleißige Studentin alsbald in die höheren Sphären der amerikanischen Gesellschaft verabschiedet. Teofil und Onkel Jimmy halten sich indessen mit Gelegenheitsjobs und musikalischen Auftritten im polnischen Kulturverein mehr schlecht als recht über Wasser. Zwei gründlich verkrachte Existenzen aus dem östlichen Mitteleuropa, die im kanadischen Winnipeg zwischenzeitlich neue Wurzeln schlagen und schließlich sogar eine Familie der besonderen Art gründen. Zwar ist Onkel Jimmy irgendwie auch Rassist. Dennoch richten er und Teofil sich bei dem immer freundlichen Indianer Babyface und dessen Adoptivsohn Chuck häuslich ein. Manche Zerreißprobe besteht diese Wahlverwandtschaft, über manches Ungemach tröstet sie hinweg. Nur: Teofil kommt einfach nicht nach oben, und mit Onkel Jimmy geht es immer mehr bergab.

„Ab und an pumpte er sich von Babyface oder von mir einen Zwanziger für Bier, saß auf einem seiner neuen Sofas, aus denen die Sprungfedern ragten und zog über die Kapitalisten und die Regierung von Ottawa her: ’Sie reißen dir den letzten Slip von der Haut’, sagte er, ’lassen dich nackt in deinen eigenen vier Wänden in der Nase bohren. Dann kommste in die Klapse oder wirst gleich von Bären zerfetzt. Unter den Kommunisten hatten wir eine Lebenserwartung von mindestens sechzig Jahren, aber hier verhungerst du schon als Kind, wenn du nicht nach ihrer Pfeife tanzt! Wozu robote ich überhaupt noch, wenn sie mir alles wegnehmen.’“

Nach neun Jahren Amerika verfügt Onkel Jimmy, der eigentlich Mirosław heißt, über ein Dutzend Kreditkarten und 25.000 Dollar Schulden. Obwohl seine Exfrau vor der Abreise aus dem masurischen Czerwonka gewarnt hatte: „Kommt mir nie wieder zurück! Es sei denn, ihr könnt die Wände mit Geldscheinen tapezieren“, tun Teofil und Jimmy schließlich eben dies. Artur Beckers Roman endet also dort, wo er angefangen hat. Über zweihundertfünfzig Seiten begleiten wir die von Becker mal bösartig, mal liebevoll gezeichneten, aber stets höchst eigenwillig handelnden Protagonisten vom masurischen Regen in die kanadisch Traufe und zurück. Ein Tanz auf der Stelle eben, mit viel Whiskey, noch mehr Bier und einer ganz und gar nüchtern Erkenntnis:

„Erstens, man darf niemals von der Hand in den Mund leben. Zweitens, man muss immer von der Hand in den Mund leben, oder mit den Worten von Jerzy Stuhr, dem Lieblingsschauspieler meines Onkels: ’Wie du dich auch drehen magst, der Arsch ist immer hinten.’“  

© Martin Sander

 

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