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WDR5, „Piazza“ 2002
Zwei Polen in Amerika werden zu Amerikanern in Czerwonka
Von Joanna Skibińska
Weil die Zlotys zu knapp und die Lebensperspektiven gleich null sind, verlassen Onkel Jimmy, sein Neffe Teofil Bäker und dessen Frau
Agnes Mitte der 80-er Jahre das masurische Dorf Czerwonka. Fern von Polen wollen sie ihr Glück unter den Indianern im kanadischen Winnipeg suchen. Mit auf den Weg nehmen sie die Ermahnung von Jimmy’s
Ex-Frau, viel, viel Geld in Amerika zu machen. Doch nicht nur der ersehnte Dollarregen bleibt aus – im tiefsten Innern ihrer Seele bleiben die beiden Polen in Amerika ihrem Idiom – dem polnischen Dorf –
verbunden.
Die Geschichte dieser beiden Traumtänzer, die die ganze Welt auf die Schippe nehmen wollen, erzählt Artur Becker auf poetische und humorvolle Weise.
Becker selbst verließ als
16-jähriger die Masurische Seenplatte, um sein Glück in der Fremde zu suchen. In „Onkel Jimmy, die Indianer und ich“ folgt er den Spuren seiner Helden und bedient sich dabei bravourös aller erdenklichen
Klischees, angefangen bei ihren stinkenden Socken und Cowboystiefeln bis zu ihrem Größenwahn, wie zum Beispiel bei „Onkel Jimmy“:
„Er ist in erster Linie klassischer Osteuropäer. Er kommt aus
dem tiefsten Osteuropa und muss in seinem Lebenslauf, in seiner Geschichte aufgrund des Zweiten Weltkrieges und vor allem aufgrund der sehr komplizierten Geschichte des 20. Jahrhunderts so oft Farbe bekennen
und so oft seine Hautfarbe wechseln, dass er – obwohl er keine intellektuelle Bildung hat - im Grunde genommen zu einem Intellektuellen geworden ist. Er ist sich dessen nicht bewusst natürlich.“
Während Teofil immer neue Gelegenheitsjobs annimmt, verfolgt sein Onkel im Fernsehen die Erfolge der Solidarnosc-Bewegung und organisiert einen heldenhaften Umzug durch Winnipeg. Ansonsten pflegt Jimmy vor
allem seine Vorliebe für selbsterfundfene Aphorismen, die er fleißig in sein Notizheft einträgt. Von seinem immer größer werdendem Schuldenberg nimmt er keinerlei Notiz.
„Die Sprüche, die er
klopft - er ist sich dessen, nicht bewusst. Aber somit hat er wirklich etwas von einem Soldaten Schwejk, oder so etwas Seltsames, Utopisches von einem Don Quihote“.
Jimmys Geschäftsideen, wie zum
Beispiel ein Bestattungsunternehmen mit sprechenden Särgen, sind genauso aussichtslos, wie seine Ratenkäufe bei Versandhäusern. Nur die junge Agnes kommt in Amerika zu recht, lernt Englisch, studiert und zieht
dann mit einem Arzt zusammen – alles pragmatische Entscheidungen, wie die Frauen eben so sind, stellt der enttäuschte Teofil fest. Seinen Liebesschmerz lindert eine abenteuerliche Highway Eskapade, ein road
movie besonders absurder Art. Schließlich flüchten Teofil und sein Onkel vor den Gläubigern in ihr masurisches Heimatdorf. Hier können „die Amerikaner“ – wie man sie dort nennt - erneut zwischen
Wirklichkeit und Phantasie balancieren.
„Aber dieses Buch handelt überwiegend auch vom Konflikt zwischen Westen und Osten. Und dadurch muss sich automatisch ein Humor ergeben. Und wenn man solche zwei
Protagonisten wie Onkel Jimmy und Teofil in den Westen schickt, als Emigranten, die schon mal im Osten am Rande der Gesellschaft gestanden haben und Außenseiter waren, müssen sie zwangsweise im Westen auch noch
einmal in diese Außenseiterrolle geraten. Und das hat zur Folge, dass sie im Grunde alles Mögliche anfangen, die utopischsten Dinge tun, die kein Mensch mit gesundem Verstand tun würde.“
© Joanna Skibińska, Artur Becker
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