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Hörzu vom 10. Januar 2003
Schwejk im Nacken
Erzählungen zwischen Ost und West: Artur Beckers „Milchstraße“
Zweimal hintereinander das Zauberwort zu treffen, ist eine Kunst. Artur Becker hat es versucht, mit Erzählungen, so zärtlich wie
Suleyken, so schön erzählt, wie es eigentlich gar nicht mehr Mode ist, und stets hat der junge Autor einen Schwejk im Nacken.
Trotzdem: Die überwältigende Magie des viel gelobten Romans „Onkel Jimmy, die Indianer und ich“ fehlt den neun sorgfältig gebauten
Geschichten, die Becker unter dem Titel „Die Milchstraße“ versammelt hat. Er hat stilistisch neu gemischt und das Verhältnis von Tradition zu Anarchie zugunsten der Tradition verändert – was schade ist.
Aber Schlimmeres lässt sich nicht dazu sagen. Beckers neue Storys über Masuren und wie die Welt von dort aus gesehen wird sind lesenswert. Sie handeln von seinen üblichen Verdächtigen: meist jungen, leicht
verrückten Typen aus der polnischen Provinz. Sie heißen Marek oder Tadek, leben dies- oder jenseits der Grenze, bleiben Wanderer zwischen West und Ost, damals und heute, auch wenn sie längst in New York leben
oder sonst wo. Sie schlagen sich durch als Kartenabreißer, Holzfäller, Fensterputzer. Wir begleiten sie beim Arbeiten, Faulenzen, Lieben und Trinken und Sterben. Sie sind allesamt melancholische Humoristen, haben
den Schwejk im Nacken und scheinen ein wenig aus der Zeit gefallen. Wie der Autor Becker, der vor 34 Jahren in Bartoszyce geboren wurde und heute in Bremen sehnsüchtige Geschichten über Fremde und Heimat schreibt.
So schön, wie es eigentlich gar nicht mehr Mode ist. Den eigenen Zauberton hat er diesmal nicht ganz getroffen. Aber fast.
© Hörzu
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