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taz Bremen Nr. 6508 vom 28.7.2001
Im Deutschen ist nicht gut fluchen
Der in Masuren geborene Autor Artur Becker hat zum hammerharten Literaturwettbewerb in Klagenfurt Bremer Lokalkolorit beigetragen.
Demnächst erscheint der neue Roman des in Verden lebenden Schriftstellers
Plötzlich wurde da zwischen den Lesungen des diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs im fernen Klagenfurt, Österreich, Bremen
erwähnt. Der Teilnehmer Artur Becker erzählte bei seiner Vorstellung wiederholt von seinem Wohnort Verden und der nahen Großstadt. Im August erscheint sein neuer Roman, "Onkel Jimmy, die Indianer und
Ich", aus dem der 33-Jährige beim härtesten deutschsprachigen Literaturwettbewerb vorgelesen hat. Zwar bekam Becker in Klagenfurt keinen Preis, doch seine Lesung war eine der unterhaltsamsten. Der taz
beantwortete er Fragen über Wettbewerbe, seine Wahlheimat, neue Buchprojekte und die Unfähigkeit, über Deutschland zu schreiben.
taz: Herr Becker, Bremen schien ja für Sie bis jetzt der Mittelpunkt ihrer literarischen Karriere gewesen zu sein. Sie wohnen
gleich nebenan in Verden und gehören zu den Autoren der Lokalszene. Bis auf das neue sind bisher all ihre Bücher von den hiesigen Verlagen "Stint" und "Schünemann" gedruckt worden.
Artur Becker:
Ja, ich kam 1985 als so genannter Spätaussiedler direkt nach Bremen. Diesen Status gibt es ja heute nicht mehr, es gibt noch die "Wolgadeutschen", aber ich komme aus Masuren. Aus diesem folkloristischen Land, wie ein Juror in Klagenfurt sagte, obwohl das gar nicht stimmt.
Wie ist das eigentlich, wenn man da beim Bachmann-Wettbewerb liest? Man weiß, dass man da ganz alleine den Kritikern vorgeworfen
wird, die schon ihre Messer wetzen. Ich hätte da, ehrlich gesagt, ziemlichen Schiss.
Ja, das war schon so, wie Sie es sagen, aber es gibt, wenn es wirklich ernst wird, das Klagenfurt-Phänomen. Wenn man sich da vorne
hinsetzt, ist die ganze Aufregung vorbei. Das haben viele vor mir ähnlich erlebt, und jene, die mich schon lange kennen, haben mir gesagt, das wäre meine beste Lesung gewesen. Jeder, egal ob mit einem guten oder
schlechten Text, liest da eigentlich sehr gut. Für mich war Klagenfurt, auch wenn ich nichts gewonnen habe, ein großer Erfolg, weil ich so gut besprochen wurde.
Aber entdeckt wurden Sie ja schon vorher, denn ihren Roman "Onkel Jimmy, die Indianer und ich", aus dem Sie in Klagenfurt
gelesen haben, verlegt nun immerhin Hoffmann und Campe.
Ich hatte das Glück, dass mein Bremer Ex-Lektor Bernd Gosau mich rausgeschmissen hat, weil er meinte, um mich weiterzuentwickeln
bräuchte ich einen größeren Verlag. Ich habe mir dann einen Agenten gesucht, und der hat mich beim Verlag Hoffmann und Campe untergebracht, wo auch der Siegfried Lenz veröffentlicht, der ebenfalls aus Masuren
kommt. Das sind so seltsame Zufälle, die sich ergeben. In meinem ersten Gedichtband "Der Gesang aus dem Zauberbottich" habe ich zum Beispiel Heinrich Heine zitiert, und jetzt lande ich bei seinem Verlag.
Sie haben ja mit Gedichten angefangen und haben sich dann der Prosa zugewandt. Und manchmal liest sich ihr Roman auch so, als
wollten sie lieber lyrisch als erzählerisch schreiben.
Es gibt ja zwei Arten zu Schreiben: Entweder man schreibt für die Leute - dann macht man Prosa, die ja nicht nur unterhaltend sein muss.
Oder man macht Lyrik, und damit ein Publikum zu erreichen, ist schon ganz etwas anderes. Wäre ich in Polen geblieben, hätte ich wohl weiter nur Gedichte geschrieben. Deutschland hat mich dann gezwungen, episch zu
arbeiten. Denn nur davon kann man hier als Schriftsteller leben.
Sie überlegen also schon vorher, was für Texte kann ich verkaufen?
Das überlegen sich die Leute in meinem Verlag. Ich bin jetzt 33, hab auch schon eine neue Gedichtsammlung fertig, die irgendwann
veröffentlicht wird. Ich muss mir da kein Bein ausreißen, ich habe schon so viele Gedichte geschrieben.
Ihr erster Roman "Der Dadajsee" spielte in Masuren, in Verden und im Bremer Ostertorviertel. Da drängt sich schon die
Frage auf, ob sie überhaupt noch viel für ihre Romane erfinden müssen.
Bei mir ist fast alles autobiografisch, weil ich nicht mit der Fiktion klarkomme. Ich muss zwar, wenn ich erzähle, zwangsläufig eine
Fiktion entwickeln. Aber wichtiger ist es mir, dass Leute, die nicht berühmt sind, nicht vergehen oder sterben. Es fasziniert mich, dass so viele Biografien in der großen Geschichte verschwinden, und was bleibt
sind Lexika, Zahlen, ein paar Namen. Ich schreibe, um solche Figuren wie etwa den Onkel Jimmy zu retten
Es gibt also tatsächlich solch einen chaotischen, wilden Mann wie den Onkel Jimmy in ihrem Roman, der aus Polen nach Kanada
auswanderte und ständig alle beleidigt?
Ich habe einen Onkel in Kanada, der sehr ähnlich ist, aber natürlich ist das Literatur, und da wird wie in einem Spiegelkabinett aus
oft unergründlichen Gründen alles verändert. Der Schriftsteller will die Welt benennen, aber er weiß schon, wenn er sich an seinen Schreibtisch setzt, dass er dabei scheitern wird.
Am Besten gefallen mir Jimmys Flüche. Haben Sie da Ihren ganzen poetischen Ehrgeiz hineingelegt, oder fluchen in Polen alle so
schön?
Da spielen die Unterschiede zwischen den Sprachen eine große Rolle. Das Deutsche ist zu konkret für gutes Fluchen. Das Polnische ist
viel plastischer und bietet viel mehr Freiheiten. Man kann viel mehr selber erfinden, was dann aber jeder auch versteht.
Sie leben ja jetzt seit 16 Jahren hier, und da fällt auf, dass Deutschland in ihrem neuen Buch nur ganz kurz an zwei Stellen in
der Form von Touristen-Karikaturen vorkommt. Ist Ihnen das Land schlicht zu langweilig, um darüber zu schreiben?
Ich kann darüber einfach noch nicht schreiben, das liegt wohl daran, dass ich noch keine Distanz zu diesem Land habe. Ich bin in
Deutschland eigentlich noch nicht angekommen. Geografisch ja, aber literarisch nicht. Für mich, und wohlgemerkt nur für mich als Schriftsteller, ist Deutschland noch zu unpoetisch und unerotisch. Da muss ich
vielleicht erst wieder weggehen und warten, bis die Sehnsucht kommt.
Fragen: Wilfried Hippen taz Bremen Nr. 6508 vom 28.7.2001, Seite 23, 90 Interview © Wilfried Hippen
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