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Onkel Jimmy, die Indianer und ich

taz Bremen Nr. 6523 vom 15.8.2001

So kaputt ist Suleyken

Mit "Onkel Jimmy, die Indianer und ich" ist der zweite Roman des in Verden lebenden Masuren Artur Becker erschienen. Darin gibt es wunderschöne Flüche, aber insgesamt erweist sich der Autor eher als lyrisches denn als episches Talent

Migration ist die wohl spannenste, vitalste und wichtigste Geschichte unserer Zeiten: Von ihr erzählen V. S. Naipaul, Salman Rushdie, Milan Kundera, Michael Ondaatje, Amitav Ghosh, Zadie Smith und viele, viele andere. Und im Vergleich zu ihren, aus dem Verlust der Heimat heraus geschriebenen, realitätsgetränkten Büchern wirken jene von den alteingesessenen Autoren oft wie Nabelschauen von Stubenhockern.

Auch Artur Becker hat seine Heimat verlassen, 1985 kam der in Masuren geborene Autor nach Deutschland, und auch er schreibt über diese Erfahrung. Viel erfinden brauchte und wollte er dabei nicht: Der Held seines Romans "Onkel Jimmy, die Indianer und ich" verlässt 1984 als Sechzehnjähriger Polen und zieht mit seinem Onkel Jimmy nach Kanada. Auch Artur Becker hat einen Onkel in Kanada - er will nach eigenen Angaben (siehe taz-Interview mit Becker vom 28. Juli) gar nicht viel erfinden, sondern in seinen Büchern die Schicksale und Geschichten von Menschen, die er kennt, bewahren.

Beim Klagenfurter Literaturwettbewerb las Becker das erste Kapitel seines neuen Buches. Er wurde zwar nicht prämiert, aber von der Kritikerriege sehr positiv besprochen. Vielleicht spielte dabei auch die ideale Präsentation eine Rolle: Beckers masurischer Akzent gab dem Text den passenden Tonfall und auch die Länge der Erzählung war genau richtig. Becker erzählte von den schrulligen Typen in dem polnischen Örtchen Rothfließ, in das der Ich-Erzähler Teofil Baker und sein chaotischer Onkel Jimmy zurückkehren, nachdem sie lange in Kanada unter Indianern gelebt haben. Der Ton ist gewinnend, komisch und die Details sind genau beobachtet - man lässt sich gerne eine halbe Stunde von diesen Menschen und ihren amüsanten Malheurs erzählen.

Wenn man das Ganze aber als 250 Seiten langen Roman vor sich hat, dann ändert sich die Sache. Schon im zweiten Kapitel merkt man, dass Becker eigentlich kein Erzähler ist. Er kommt aus der Lyrik, und sagt selbst: Wenn er nicht nach Deutschland gekommen wäre und hier als Schriftsteller sein Geld verdienen würde, hätte er weiterhin nur Gedichte geschrieben. Am liebsten reiht er skurrile Begebenheiten aneinander, fast immer fährt dabei der überlebensgroße Onkel Jimmy in die halbwegs geordneten Verhältnisse und hinterlässt das pittoreske Chaos, in dem er sich wohl zu fühlen scheint. Das ist immer schön erzählt, aber man wird dann doch langsam ungeduldig, weil eigentlich nichts passiert. Es ist egal, mit welchem Mädchen Teofil gerade liiert ist, es ist egal, wie viel Schulden sich Onkel Jimmy gerade wieder durch eine mittlere Katastrophe aufgehalst hat. Man weiß, dass beide es schon durchstehen werden, man spürt keine Entwicklung - das ganze Buch wirkt seltsam statisch. Natürlich ist dies Programm. Einmal sagt Teofil auch ganz konkret, es sei ja letztlich egal, ob er nun in Polen, Kanada oder sonst wo sitzen würde: Beide landen immer im gleichen Schlamassel. Den kennt man aber nach 100 Seiten zur Genüge.

Becker ist also eher ein lyrisches als ein episches Talent und all seinen Ehrgeiz legt er in die Worte des Onkel Jimmy. Es gibt wunderschöne Flüche in diesem Buch, und wenn Jimmy mit seinen Sprüchen Eindruck machen will, benutzt er einen Kehlkopfgenerator, den er einer Leiche aus dem Sarg geklaut hat, und spricht mit der Stimme von Darth Vader aus "Star Wars". Solche schönen Ideen sind die Höhepunkte des Romans. Dazu gehören auch die Auszüge aus Jimmys Notizblock, in dem er Weisheiten verewigt wie: "Zigaretten sind zwar in Polen billiger, aber der kleine Mann auf der Straße zieht immer noch den Kürzeren, wie unsere Indianer in Amerika, und ob die Kommunisten heute Kapitalisten heißen, spielt auch keine Rolle."

Wenn man erst dahintergekommen ist, mit wie viel Liebe Becker die Menschen beschreibt, verzeiht man dem Buch gerne seine Schwächen. Die kanadischen Indianer kommen dabei ein wenig wie die Polen Amerikas daher, aber diese Sicht ist zumindest originell.

Doch ausgerechnet mit den Deutschen kann Becker in diesem Buch kaum etwas anfangen. Er lässt sie nur in unvorteilhaftester Form auftauchen, nämlich als Touristen: In Kanada als zwei rucksackbepackte Tramperinnen, in Polen als Busladungen von "Vertriebenen und ihren Kindern aus Leipzig und Hannover ... mein Onkel hätte sie alle mit einem Flammenwerfer in die Hölle befördert, wenn er Mumm hätte." Da ist Becker plötzlich nicht mehr so harmlos, da blitzt eine Wut auf, über deren Ursachen man gerne mehr in diesem Roman erfahren hätte. Hip

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