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Buchkultur Wien, Dezember 2002
Lebenskünstler und Hasardeure
Von Hans-Dieter Grünefeld
Kurz bevor sie vom Rand der Erzählung in einen Abgrund des Schicksals stürzen, rettet Artur Becker seine Figuren. „Die
Milchstraße“ ist groß genug für alle, auch wenn sie im ostpreußischen Ermland liegt. Für Arek zum Beispiel, dessen Eltern und Zwillingsbruder nach Deutschland ausgewandert sind. Arek lebt alleine in der
Kleinstadt Bartoszyce (Schauplatz der meisten Erzählungen), von Devisen, die er saisonal in Hamburg verdient und in Polen ausgibt. Bis er Kartenabreißer in einem Kino wird, wo er die schöne, aber verheiratete
Renata kennen lernt. Nachdem ihr Ehemann unter mysteriösen Umständen ertrunken ist, wittert Arek seine Chance auf ein angenehmes Leben.
Wie auch Marek, der während des Sozialismus in Polen seine Chance in
einem Pass sieht, um nach Deutschland zu kommen, aber Probleme mit der politischen Polizei bekommt, „Kerle (...) pathetisch und mit sadistischen Neigungen“. Im letzten Moment gelingt die Ausreise, und eine
Liebesgeschichte hat eine erfreuliche Perspektive.
In neun Geschichten, die thematisch seine beiden Romane „Der Dadajsee“ und „Onkel Jimmy ...“ fortsetzen, blickt Artur Becker in die Nischen einer
morschen Gesellschaft in Polen vor 1989 und in den verblendenden Glanz des westlichen Konsumismus. Die Generation der zwanzig- und dreißigjährigen Männer (nur wenige Frauen) ist unzufrieden, will Freiheit bei
strenger katholischer Moral, Erfolg bei ziemlichem Alkoholgenuss, Wohlstand inmitten sozialen Elends. Mit skurrilem Humor erzählt Artur Becker von diesen kantigen Widersprüchen kleinbürgerlicher Lebenskünstler
und Hasardeure, die sinnenfreudig und illusionär der Zukunft hinterher trauern.
Fazit: Neun Geschichten von der jungen Generation, die die historischen Umbrüche vor und nach 1989 in Polen und Deutschland
erlebte.
© Hans-Dieter Grünefeld
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