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Buchkutur (Wien), Dezember 2001
Flucht nach Hause
Von Hans-Dieter Grünefeld
Der salbadernde Hasardeur Jimmy hat sich seine Zukunft in Masuren niedergebrannt, nämlich durch warme Gebäudesanierung. Dem Zugriff der
Polizei entkommt er durch Flucht nach vorn: Auswanderung nach Kanada. Dabei ist auch Teofil, sein Neffe, und dessen Freundin Agnes, in Scheinehe mit Jimmy verbunden. Bis Indianer Babyface und dessen Adoptivsohn
Chuck in die Geschichte eintreten, haben die beiden Glücksritter aus Polen und ihr Burgfräulein schon alle Phasen sozialer Unsicherheit in Winnipeg durchlebt. Während Teofil seinen Realitätssinn schult, indem er
arbeitet, riskiert Jimmy manches Geschäft am Legalitätsrand. Erst Babyface – „Die verrückte Rothaut hatte meinem Onkel tatsächlich angeboten, in sein kleines Haus im Indianerviertel zu ziehen“ – bringt
etwas Ruhe ins turbulente Emigrantenleben.
„Onkel Jimmy, die Indianer und ich“ hat einen schaurigen Unterton, und Artur Becker schlägt diese Dissonanzen oft an. Denn sein Roman erzählt keines der
üblichen Abenteuer, der Roman erzählt von Sehnsucht nach einem intakten Zuhause und der Flucht zu sich selbst. Kanada ist ein geographischer Umweg zur persönlichen Läuterung des Protagonisten Teofil, der sich
nur mühsam aus pathologischer Liebe zu seinem Onkel befreien kann. Und indem er sich von dieser unerträglichen Quasselstrippe löst, merkt Teofil, welche Scheinwelten ihn in Kanada und in Polen gefangen hielten.
Den historischen Rahmen bilden die 80er Jahre, eine Zeitspanne mit sinkenden Werten für Bevormundungen. Erst die Rückkehr ins provinzielle Masuren treibt ihn endgültig in die Einsamkeit der Selbstverantwortung.
Von diesem schmerzhaften Lernprozess erzählt Artur Becker nicht ohne Galgenhumor, mit Spin und Verve, mit Hinter- und Vordersinn, denn es wimmelt nur so von Vorurteilen in diesem Roman, doch so, dass Becker sie mit
seinem Stil aushebelt.
Fazit: Die Mischung aus rauer Melancholie und sensitiver Beobachtungsgabe bereitet die reinste Lesefreude.
© Hans-Dieter Grünefeld
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