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Der Dadajsee

BUCHKULTUR. Das internationale Magazin aus Wien, Nr. 50/1, 1998

Vatermord

von Hans-Dieter Grünefeld

Jurek möchte seinem Vater, der im Garten vor seinem Haus begraben ist, den Kopf abschneiden. Dieser Gedanke läßt ihm keine Ruhe: "Solange mein Vater in mir existiert ... Als Erinnerung ... Als Gespenst ... Ich kann's nicht genauer sagen", sagt er zu seinem Freund Ludwik. Beide haben sich nach vielen Jahren wieder in Wilimy am Dadajsee in Masuren, Jureks Geburtsort, getroffen.

Beider Leben hatte einen Bruch: Jurek wanderte von Polen nach Bremen aus, Ludwik verbrachte ein Jahr im Knast, weil er keinen Unterhalt für sein Kind bezahlen wollte. Beide sind mit Frauen liiert, die ihnen, Halt und Geborgenheit geben. Und auch Ludwik hat einem, wie er meint "Blutsauger", den Kopf abgeschnitten: dem skrupellosen Geschäftsmann Oblamski.

Artur Becker wurde 1968 in Bartoszyce in Polen geboren. Im Jahre 1985 kam er nach Deutschland, studierte in Bremen und publiziert seit 1990 vor allem Lyrik in der Literaturzeitschrift "Stint".

In seinem Debütroman DER DADAJSEE, der sofort nach Erscheinen den Preis des Verbandes Deutscher Schriftsteller für das beste Buch erhielt, befaßt sich Becker mit Generationskonflikten. Der Tod des Vaters läßt Jurek nicht zur Ruhe kommen, da vieles zwischen Vater und Sohn ungeklärt blieb. Erst sein Onkel Herbert erklärt ihm, daß Jurek Verrat an der Familie begangen habe. Er habe Jurek töten wollen, wenn er zur Beerdigung seines Vaters gekommen wäre.

Gewaltandrohungen und -phantasien sind symptomatisch für Umgangsformen am Dadajsee, wo Menschen kärglich vom Fischfang leben. Männlichkeit ist Rohheit, die durch Alkohol und Kumpelei übertönt wird. Davon Versucht sich Jurek ebenso wie Ludwik zu lösen.

Becker erzählt diese bedrückende Geschichte einer Ablösung von der Vätergeneration lakonisch wie Hemingway.

Kurze Sätze, knappe Skizzen von Situationen und Dialoge, die manchmal in der Erzählebene integriert sind, wirken lebensnah, direkt und ungeschminkt. Doch sein Stil ist gelegentlich unsicher, etwa wenn ein aus der Distanz betrachteter Protagonist unmotiviert seine Gedanken, in erlebter Rede ausbreitet. Becker macht keine Umwege. Die Figuren treten auf, wie sie sind, ohne weitschweifige Beschreibungen. Dieser Stil entsteht im Bauch, nicht im Kopf. Das ist die Stärke dieser erdigen Prosa, die sich noch weiterformen sollte.

© Hans-Dieter Grünefeld


 

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