Dresdner Neueste Nachrichten, 02.05.2018
Eine Republik, in der es keine Reisepässe gibt – Artur Becker liest in Dresden aus „Kosmopolen"

Von Michael G. Fritz

Artur Becker ist dem deutschen Publikum bis jetzt vor allem als großer Epiker und Lyriker bekannt. Seine ersten Gedichtbände tragen Titel wie „Jesus und Man von der ESSO-Tankstelle“ und „Dame mit dem Hermelin“. Die mit Verve erzählten, breit angelegten Romane „Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken“, „Der Lippenstift meiner Mutter“ und „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ wurden von der Kritik begeistert aufgenommen. Für sein Werk erhielt er vielfache Auszeichnungen, so den Adelbert-von-Chamisso-Preis und den DIALOG-Preis. Artur Becker ist ein grandioser Erzähler, der mit Charakteren, die dem Leser nachdrücklich in Erinnerung bleiben, den Spannungsbogen virtuos aufrechtzuerhalten weiß. Mit den Romanen hat er bereits Dresden besucht.

Nun stellt er seinen neuesten Band vor. "Kosmopolen" vereint Essays, die sich
autobiographisch mit Erinnerungen an Menschen und Orte beschäftigen, mit dem komplexen Verhältnis zwischen Polen und Deutschen, wobei er nach dem Verbindenden zwischen den beiden Völkern sucht.

Der Autor, 1968 in Bartoszyce/Bartenstein (Masuren) geboren, siedelte 1985 während des Kriegsrechts in die Bundesrepublik Deutschland über. Der „unmenschliche und zerstörerische Kommunismus“ vertrieb ihn und seine Familie nach Westdeutschland. In „Mein letztes Sakko aus Bartoszyce“ erzählt er, wie der Sechzehnjährige auf seinen Pass wartet, nachdem seine Eltern bereits nach Westdeutschland ausgereist sind. Als er das Dokument nach einem Jahr erhält, verabschiedet er sich von seiner Freundin Magdalena,  seinem „wichtigsten Fixstern aus Posen“ auf dem Bahnhof, die er später heiraten sollte. Er
fährt über Ostberlin, wo die DDR-Grenzer noch ein letztes Mal die Macht des Sozialismus
demonstrieren, nach Hannover. Aus Artur Bekier, dem jungen polnischen Lyriker, von dem bereits einige Gedichte in Polen erschienen sind, wird im Grenzdurchgangslager
Friedland Artur Becker. Er gilt als Spätaussiedler, eine seiner Großmütter ist Deutsche.

Der Autor, der gern behauptet, polnische Literatur auf Deutsch zu schreiben, geht
in „Meine deutsche Sprache und ich“ der Frage nach, inwieweit man der Sprache
vertrauen kann, und kommt zu der Erkenntnis, dass aus seinem Flirt mit der
deutschen Zunge schließlich eine Liebe wurde. „Es ist ein großer Schmerz, dass ich
Polnisch weggeworfen habe wie einen verfaulten Apfel, und es ist ein großer Gewinn,
dass ich deutsch in mich und bei mir aufgenommen habe wie einen Findling.“

Wer so zerrissen ist, schafft sich in seinen Büchern sein eigenes Land, das Becker in
„Vom Weltenbrand, den wir jeden Tag Löschen“ beschreibt. Der Autor nennt es
Kosmopolen, eine Republik, in der es keine Reisepässe gibt, in der jeder freiheitlich
denkende Geist willkommen ist. Kosmopolen ist auch ein glücklicher Zufluchtsort.
Der Begriff stammt von dem Schriftsteller Andrzej Bobkowski, dem es darum ging,
wie man als im Ausland lebender Pole und Intellektueller von der Weichsel zum Weltbürger werden könne. Becker spannt den Bogen von sich zu den polnischen Emigranten, die sich.in den Fünfzigern des 20. Jahrhunderts um den Publizisten und Verleger Jerzy Giedryoc in Paris scharten. Sein Kosmopolen hält Becker ebenso für den
bedeutenden polnischer Dichter Czeslaw Milosz offen, der erst im Dienst der kommunistischen Regierung stand, 1951 aber ins französische Exil floh. Der Nobelpreisträger sagte: „Liebe kein einziges Land Länder gehen leicht unter“.

(…)
© weissbooks.w, Frankfurt am Main 2017

 

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